41 Generalsanierungen – „zu rutschig, um wahr werden zu können“

Ob Bundesverkehrsminister Volker Wissing, ob Bahnchef Richard Lutz, ob Vertreter der beteiligten Bauunternehmen oder Landespolitiker aus Hessen und Baden-Württemberg: Allen stand am Samstag die Erleichterung darüber, dass die Riedbahnbaustelle fast pünktlich abgeschlossen wurde, ins Gesicht geschrieben. Dass einige wenige Züge erst ein paar Tage später wieder starten können, spielte in der Abschlussveranstaltung der DB zu dem Infrastruktur-Milliardenprojekt im südhessischen Gernsheim eine untergeordnete Rolle. Vielmehr dominierte die Freude darüber, dass die umfassende Aufarbeitung von einem der höchstbelasteten Schienenabschnitte im deutschen Gleisnetz ohne größere Probleme gelungen ist. Auch wenn allen Beteiligten im Festzelt klar war: Das ist erst der Anfang.

Denn die rund 70 Kilometer der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim machen nicht einmal zwei Prozent dessen aus, was bis Ende 2030 geplant ist. Dann sollen sich nach den ambitionierten Vorstellungen von Bund und Bahn die neuralgischen Stellen im Schienennetz in einem Topzustand befinden: insgesamt 4000 Kilometer Strecke, von denen der reibungslose Betrieb im 34.000 Kilometer langen Gesamtnetz wesentlich abhängt. Es sind hochbelastete Verbindungen, aus denen die Bahn „Hochleistungskorridore“ machen will.

Ob dieser Infrastruktur-Kraftakt tatsächlich in sechs Jahren zu stemmen ist, steht derzeit in den Sternen. Es sind die noch unklaren Finanzierungsbedingungen mit Blick auf eine neue Bundesregierung im kommenden Jahr und es ist die schiere Menge der Planungen, die Anlass zur Sorge geben. Insgesamt 41 der stark befahrenen Korridore will die Bahn ertüchtigen, um die Verspätungsmalaise endlich in den Griff zu bekommen und das miserable Image der DB wieder zu heben.

Auch Hamburg-Berlin wird eine große Herausforderung

Als nächste wirklich große Herausforderung steht die Generalsanierung der Fernverkehrsstrecke Hamburg-Berlin auf dem Programm. Sie ist mit fast 280 Kilometern rund viermal so lang wie die Riedbahn. Unter anderem werden im Nordosten mehr als 180 Kilometer Gleise und rund 200 Weichen modernisiert. Sechs zusätzliche sogenannte Überleitstellen sollen den Betrieb stabiler und flexibler machen und dafür sorgen, dass schnellere Personenzüge langsamere Güterzüge überholen können.

Wegen des größeren Umfangs bleibt die Verbindung zwischen den beiden größten deutschen Städten deutlich länger komplett gesperrt als die Riedbahn: Von August 2025 bis April 2026, also etwa ein Dreivierteljahr, müssen Bahnkunden mit erheblich längeren Fahrzeiten rechnen. Der Fernverkehr wird unter anderem über Stendal und Uelzen umgeleitet, die Züge brauchen dafür mindestens 45 Minuten mehr. Auch Güterzüge müssen die Strecke weiträumig umfahren. Im Regionalverkehr setzt die Bahn auf einen Schienenersatzverkehr mit Bussen.

In den kommenden Jahren sind dann weitere Strecken dran. Zwischen 2024 und 2027 stehen insgesamt 13 Generalsanierungen sogenannter Engpasskorridore auf dem Programm. Nach der Riedbahn in diesem Jahr will die DB 2025 neben Hamburg-Berlin die Strecke Emmerich-Oberhausen ertüchtigen. 2026 folgen die Verbindungen Hagen-Wuppertal-Köln, Nürnberg-Regensburg, Obertraubling-Passau und Troisdorf-Koblenz-Wiesbaden. 2027 will man sich schließlich der veralteten Infrastruktur von sechs Schienenverbindungen annehmen: Frankfurt-Heidelberg, Lehrte-Berlin, Bremerhaven-Bremen, Lübeck-Hamburg, Rosenheim-Salzburg und Fulda-Hanau.

Viele äußern Zweifel

Skeptiker haben ihre Zweifel, ob all das funktionieren kann. „Die Vorstellung, 41 Strecken des Kernnetzes könne man quasi industriell durchsanieren, mit Standardvollsperrungen von jeweils fünf Monaten, ist zu glatt, um wahr werden zu können“, befürchtet der Verband Mofair, der die DB-Konkurrenten vertritt. Die Länge der Strecken, ihr Zustand, die Menge der zu ersetzenden Gewerke, die Topographie im Umfeld und die Umleitungsmöglichkeiten – all das sei viel zu unterschiedlich.

Und nicht nur das. Mofair verweist auch auf die eingeschränkten Möglichkeiten der Baubranche – von Unternehmen wie Leonhard Weiss, Spitzke, Swietelsky oder Siemens Mobility, die auf der Riedbahn aktiv waren. „Bis zu sechs Projekte parallel kann die Bahnbaubranche nicht verkraften“, konstatiert der Verband. Auch die Möglichkeiten der DB-Infrastrukturtochtergesellschaft InfraGO (früher: DB Netz) seien begrenzt. Schon im Vorfeld der Riedbahn habe man gesehen, dass fast alle InfraGO-Kapazitäten auf dieses Projekt konzentriert worden seien. Man dürfe nicht dem Glauben anhängen, der „Fortschritt“ gehe jetzt so bis 2030 seiter.

Auch der Verband der Güterbahnen, NEE, äußert sich skeptisch. „Im Maschinenraum der Vorbereitung weiterer Sanierungen knirscht es von Hamburg bis Passau“, sagt Geschäftsführer Peter Westenberger. „Viele Riedbahn-Randbedingungen sind leider nicht eins zu eins übertragbar.“ Das gelte vor allem für die Kapazitäten für die Umleitung des Gütervekehrs während der geplanten Vollsperrungen.

Bei der Deutschen Bahn sieht man das naturgemäß optimistischer. „Alle Beteiligten haben Berge versetzt und sind über sich hinausgewachsen“, lobte DB-Chef Lutz in Gernsheim mit Blick auf die Riedbahn. Sein Fazit: „Das Konzept der Generalsanierung funktioniert.“ Ähnlich zuversichtlich zeigte sich Verkehrsminister Wissing. Das Riedbahnprojekt habe gezeigt, dass Deutschland Menschen habe, die Höchstleistungen vollbringen könnten. Bahn-Infrastrukturvorstand Berthold Huber plädierte nachdrücklich dafür, mehr das „Gelingen“ als das „Ruckeln“ im Blick zu haben. Er warnte davor zu glauben, dass bei den nächsten 40 Projekten „immer alles reibungslos läuft“. Mit einer solchen Einstellung sorge man dafür, dass „Veränderung und Verbesserung nicht möglich ist“.

Und eine rasche Verbesserung der Situation – das steht für die DB ganz oben auf der Agenda. InfraGO-Chef Philipp Nagl machte am Rand der Veranstaltung in Gernsheim deutlich, dass man auch deshalb so viele Sanierungsprojekte zeitgleich angehe. Es gehe darum, schnell Erfolge zu sehen. Alleine die Sanierung der Riedbahn soll die Pünktlichkeit um einen Prozentpunkt heben, wird im Konzern vorgerechnet.

Baden-WürttembergBerlinBremenBremerhavenBUNDBundesregierungDBDeutschen BahnDeutschlandEndeFrankfurtHamburgHanauHeidelbergHessenInfrastrukturKoblenzKölnLangLeonhardLutzMANMannheimOberhausenPassauPeterPhilippRegensburgRichardRichard LutzRosenheimSanierungSanierungenSchienennetzSiemensStarkUnternehmenVolkerVolker WissingWissingWuppertal