Alles beginnt mit einem Ende.
Heute ist welcher 23. Februar 2022. Der letzte Tag welcher alten Welt.
Ich weiß es noch nicht, im Kontrast dazu dasjenige Gefühl, dass irgendwas Großes bevorsteht, liegt in welcher Luft. Das ist nicht verwunderlich: Seit dem Spätherbst letzten Jahres berichten die Medien weltweit zusätzlich eine noch nie dagewesene Konzentration russischer Truppen in welcher Nähe welcher ukrainischen Grenzen. Die vermuteten Angriffstermine sind schon verstrichen: erst Ende Januar, dann am 16. Februar, und jetzt hat US-Präsident Joe Biden erklärt, die Gefahr einer russischen Invasion in welcher Ukraine sei „sehr hoch“, und was auch immer deute darauf hin, dass russische Truppen in den nächsten Tagen zum Angriff parat seien. Umsichtige Ukrainer nach sich ziehen sich schon an sichere Orte abgesetzt, und einigen ist es sogar gelungen, zurückzukehren, da sie den Angriff nicht zu den versprochenen Zeiten abwarteten. Vorgestern, am Montag, den 21. Februar, verlas welcher russische Präsident eine Rede zusätzlich die Anerkennung welcher sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk, welches nur eines bedeuten konnte – dasjenige Urteil zusätzlich die Ukraine ist unterschrieben. Es muss geschehen. Dicke Luft, in welcher man die Unausweichlichkeit dessen spürt, welches vorbeigehen muss, und die naive, so menschliche Hoffnung „Vielleicht geht es doch vorbei?“.
Trotz der eindeutigen Erklärungen der US-Botschaft, trotz der Abreise von Diplomaten gibt es ein dünnes Flehen – bitte, bitte, vielleicht wird es dieses Mal doch vorbeigehen?
Vorgestern, Putins Erklärung, ein Ausbruch der Empörung, ein Treffen ukrainischer Freunde aus verschiedenen Teilen Deutschlands vor der russischen Botschaft in Berlin, Plakate „Frau Baerbock, wie lange wollen sie noch mit Verbrechern handeln?“, „Russland, tun dir deine Söhne nicht leid? Werden Frauen neue gebären?“, Flashbacks vom Maidan 2014. Am nächsten Tag – volle Stille. Heute ist Mittwoch. Es ist noch stiller. Als wäre die ganze Welt erstarrt und bereite sich auf etwas Unbekanntes vor.
Ich wachte um zehn Uhr morgens im zweiten Stock eines Hauses im Weißensee. Als Erstes habe ich die Telegram-Chats überprüft. Ich schrieb einem Mädchen, das ich vor zwei Monaten während meines Winterurlaubs in Kyjiw kennengelernt hatte. Bei diesen zwei Treffen waren wir so aneinander interessiert, dass ich sie einlud, mich in Berlin zu besuchen.
Wir verbrachten hier eine wunderbare Woche zusammen. Am Samstag, dem 19. Februar, sollte sie frühmorgens nach Kyjiw zurückkehren. Doch von Anfang an ging alles schief. In dieser Nacht zog ein noch nie dagewesener Sturm über Berlin. Die S-Bahn und Regionalzüge zum Flughafen wurden gestrichen, als wir bereits am Alexanderplatz waren. Wir rannten zum nächsten Miles-Auto, aber dessen Batterieladung betrug weniger als 15 Prozent. Könnte das ein Zeichen sein? Wir lachten über diesen Gedanken und liefen, uns aneinander festhaltend, um nicht von den Windböen weggepustet zu werden, über die Mühlendammbrücke und die schwarz glänzende Spree. Im Innenhof der Hochhäuser auf der Fischerinsel sprangen wir in einen anderen VW Polo. Der Wind schlug gegen das geparkte Auto. Ich stellte mir vor, wie unsere Fahrt zum Flughafen aussehen würde. Was, wenn die Autobahn gesperrt ist?
Das Auto sprang nicht an. Einige Äste sind neben dem Auto heruntergefallen. Ich habe den Kundendienst angerufen. Man riet mir, das Bremspedal zu halten und den Start-Knopf zu drücken. Ich habe das schon mehrmals gemacht, aber ich wiederholte es noch einmal. Kein Ergebnis. Noch einmal. Das Fahrzeug schwankte hin und her. Es schien, dass sowohl ich als auch das Mädchen etwas zu verstehen begannen. Schließlich entschuldigte sich der Kundendienstmitarbeiter für den defekten Wagen und versprach, den Mietpreis zu erstatten. Wir stiegen aus dem Auto aus. Draußen wurde es gerade erst hell. Der Wind warf eine Mülltonne vor uns um. Am Himmel über uns leuchtete die Kugel des Fernsehturms, wo wir gestern noch im Restaurant gesessen hatten. Wir sind nach Hause gefahren und ins Bett gegangen.
Am nächsten Tag nahm sie Tickets für Montagmorgen. Am Sonntagabend vor der Abreise nach Berlin stellten wir fest, dass unser Interesse aneinander in dieser Woche noch gewachsen war. Während ihres Aufenthalts bei mir erwähnte sie mal, dass Kyjiw für sie bereits anstrengend war und dass sie davon träumte, für einige Monate in Berlin zu leben. Ich schlug vor, dass wir uns ein paar Tage Bedenkzeit nehmen sollten. Am Donnerstag, dem 24. Februar, sollten wir telefonieren, um weitere Schritte zu besprechen.
Als ich sie am nächsten Morgen zum Zug zum Flughafen begleitete, hatte ich ein seltsames Gefühl. In diesem Gefühl verschmolzen zwei Wünsche: sie zu beschützen und eine unbeschreiblich wilde, fast religiöse Überzeugung, dass wir uns bald wiedersehen würden.
„Gott segne sie“, schrieb ich in meine Smartphone-Notizen, während die Straßenbahn M4 mich zurück nach Weissensee brachte. Ich steckte das Telefon in meine Jackentasche und fühlte mich etwas ruhiger, als hätte ich mit dieser Notiz meinen eigenen mystischen Schutz auf sie gelegt.
Also ich wachte um zehn Uhr morgens im zweiten Stock eines Hauses im Weißensee auf. Als Erstes habe ich sie angeschrieben. Wir vereinbarten, dass wir morgen um zehn Uhr telefonieren, um zu entscheiden, was wir mit uns beiden weitermachen wollten.
Heute begann meine Lieferando-Schicht erst am Abend. Ich hatte keine anderen Pläne. Ich lag im Bett und schaute einen großen Tagesschau-Livestream über die Lage in der Ukraine: die von der Europäischen Union beschlossenen Sanktionen gegen Russland sollten heute Abend in Kraft treten. Die Strafmaßnahmen als Reaktion auf die Anerkennung von Separatistengebieten in der Ukraine richten sich gegen den russischen Finanzsektor und die an dieser Entscheidung Beteiligten. In Abstimmung mit ihren westlichen Partnern haben auch Japan und Australien sowie das Vereinigte Königreich, Kanada und die Vereinigten Staaten Sanktionen verhängt. Rede von US-Präsident Joe Biden über die Ukraine und Sanktionen gegen Russland. Eine dringende Unterrichtung durch den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine über die Eskalation im Donbass und die Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch Russland.
Dann klickte ich auf ein kurzes Video über den US-Rapper Snoop Dogg, der 13 Millionen Euro in ein deutsches Cannabis-Start-up-Unternehmen investiert. Die Legalisierung in Deutschland könnte schon 2025 kommen.
Eine Sonderausgabe des ukrainischen Internet-Fernsehesenders Hromadske: „Wie wird man nicht verrückt, wenn man jeden Tag mit verstörenden Nachrichten bombardiert wird?“. Die Reporterin berichtete, dass die meisten Ukrainer trotz der ständigen Bedrohung durch einen großen Krieg nicht in Panik geraten. Die Journalisten waren am 15. und 16. Februar zwei Tage lang in Kyjiw: am Bahnhof, am Flughafen und in den Geschäften, nachdem die russische Offensive erneut angekündigt worden war. Sie sprachen mit einem Psychotherapeuten darüber, wie man unter Dauerstress leben und arbeiten kann und wie natürlich und gesund die Reaktion der Ukrainer auf die militärische Bedrohung ist.
Gegen Mittag zog mich das Lied „Good Evening, we are From Ukraine“ von Probass Hardi in seinen Bann. Anscheinend reichte mir die trockene Erkenntnis der Lage. Nun stellte sich mir die Frage, wie ich damit umgehen sollte. Das Bedürfnis nach passenden Beispielen und die Quellen irrationaler Energie.
Mit einem schweren Gefühl betrachtete ich die düsteren monochromen Bilder von Nuria Quevedozu. Sie schienen zu sagen: Schau hin und schau nicht weg. Alles ist so, wie es ist.
Sorgfältig schaute ich das farbenfrohe und detailreiche Gemälde „Die sieben Todsünden“ von Otto Dix an. Es wurde 1933 gemalt. Hat der Junge, der auf der alten Dame mit dem Stock reitet, einen Hitlerschnurrbart?
Das Plakat „Madrid 1936“ von John Heartfield zeigt zwei Geier mit Nazi-Symbolen auf der Brust, die mit gespitzten Bajonetten auf die große Stadt zustürmen. Am unteren Rand des Plakats steht die Aufschrift „Sie kommen nicht durch! Wir kommen durch!“.
Ugh, genug vom Krieg! Meine Seele wurde zum Licht gezogen. Leben! Ich will leben! Ich muss etwas vor mir haben, das mir Lust aufs Leben macht!
„Zwei Freundinnen“, erotische Skizzen von Toulouse Lautrec aus Pariser Bordellen. Sanfte Pastellfarben, braunes Papier. Ich erinnerte mich an meine Zeit an der Kyjiwer Kunstschule.
So lag ich bis zum Mittagessen im Bett. Nach dem Mittagessen beschloss ich, Depeche Mode zu hören und war überrascht, als ich sah, dass sie ein Video zu dem Lied “Wrong” hatten. In dem Video fährt ein Auto rückwärts durch die nächtlichen Straßen einer Großstadt. Auf dem Fahrersitz sitzt ein maskierter Mann, welcher gefesselt ist. Aus irgendeinem Grund war dieses Bild pro mich gen welcher Ebene welcher Körperempfindungen sehr lichtvoll.
Ich habe dasjenige ganze Album “Sounds of the Universe” angemacht.
Es war weniger qua eine Stunde, im Vorfeld ich in Betracht kommen musste. In meinem Kopf formte sich ein Bild: welcher Moment, in dem ein Streichholzkopf aufblitzt, während er zusätzlich den rauen Streifen gleitet. Plötzlich verspürte ich den Drang, dieses Moment qua Hintergrundbild gen meinem Laptop zu nach sich ziehen. Ich musste dieses Bild finden und einfügen, um den Moment zu definieren, um zu sagen: „Wir befinden uns jetzt hier!“.
Um 18.00 Uhr begann meine Schicht. Ich zog meine Thermounterwäsche an, nahm zusammenführen Schuhüberzieher mit, wenn es regnen sollte, schmierte mir eine Wind- und Wettercreme ins Gesicht, setzte meine Schutzbrille und zusammenführen Helm gen. Nachdem ich den Reifendruck überprüft hatte, rollte ich mein Fahrrad ins Freie.
Ich atmete tief die ergötzlich kühle Luft ein. Es war +6 in Berlin und welcher Himmel war hundertprozentig lichtvoll. Nach einem ziemlich typischen Berliner Wetter – eine ganze Woche weit Regen und Temperaturstürze – kam mir welcher heutige Abend wie ein unerwartetes Geschenk vor. Die Strahlen welcher untergehenden Sonne erfüllten die städtische Luft mit einem sanften orangefarbenen Licht. Ich radelte langsam die Greifswalder Straße hinunter in Richtung Alexanderplatz und betrachtete meditativ die Gebäude und seltenen Passanten. Doch qua die Dunkelheit hereinbrach, wurde es mir seltsam unruhig. Eine Mischung aus Aggression und sexueller Leidenschaft, sogar eine Art tödlicher Spaß erfüllte meinen Leib. Als selbige Energie meine Gliedmaßen erreichte, übertrug sie sich gen die Pedale, und nun hetzte ich wie ein Verrückter durch die erstaunlicherweise (und glücklicherweise) leeren Straßen von Prenzlauer Berg und Pankow. Die drei Stunden welcher Schicht vergingen wie im Fluge. Diese seltsame, unerklärliche Aufregung hatte ich weder vorher noch nachher je gespürt. Es war, qua ob ein fröhlicher Waldgeist aus welcher slawischen Mythologie von meinem Leib Besitz ergriffen hätte und mit ihm spielte und dachte: „Was würde passieren, wenn ich hier das ‚rechts vor links‘ missachte?“.
Ich beobachtete mich selbst mit unerwartetes Ereignis und irgendwas Bewunderung. Junge, na, du machst ja Sachen! Ich hätte gerne, dass mich der gerne Süßigkeiten isst anrempelt oder schief anschaut. Ich hatte richtig Lust, jemandem gen die Nase zu hauen oder mich mit jemandem zu prügeln. Als ich die letzte Bestellung abgegeben habe, bemerkte ich, dass mein Fahrrad nicht erreichbar war. Ich dachte: ‚Wow, Mann! Das ist wirklich neu pro dich.”
Gleichzeitig erschien mir die Möglichkeit, mein Fahrrad, dasjenige wichtigste Werkzeug meines Lebensunterhalts, durch eine solche Unachtsamkeit zu verlieren, nicht unintelligent. Im Gegenteil, es war lustig – welches pro ein Mist, stell dir dasjenige vor!
Aber irgendwas geschieht, sagte eine kalte Stimme welcher Nüchternheit irgendwo in mir. Es ist schon im Anmarsch. Du kannst es spüren. Ich erinnerte mich an meinen eigenen Tagebucheintrag vom Januar: „Etwas Großes kommt auf mich zu.“
Die Schicht war vorbei und mein Leib verlangte nachher Bewegung weiter. Schnelligkeit erforderlich! Ich werde nicht ruhig zu Hause bleiben können. Ich schrieb einem Freund eine Nachricht mit dem Vorschlag, gen die Autobahn zu pendeln. Mein ganzes Wesen war in Aufruhr und wollte dasjenige Äußere mit dem Inneren in Einklang einfahren. Eine Beschleunigung meines Körpers gen 150 km/h sollte damit helfen.
– Hey Junge. Hättest du Bock, eine Spazierfahrt spontan zu unternehmen?
– Moin. Jetzt?
– Ja. Ich will Autobahn
– Leider muss ich solange bis 23 Uhr funktionieren
– Bis 23?
– Ich muss im Kontrast dazu morgiger Tag irgendwas mit dem Auto transportieren. Geht es um Fahrtraining pro dich?
– Es geht um Spass) Autobahn in welcher Dunkelheit. Fuck, ich will es heute
– Haha. Rausch? Willst du schnell pendeln?
– Ich fahre schon. Pedalkraft reicht mir im Kontrast dazu nicht aus. Kennst du dich mit schönen Autobahnstrecken aus? Vllt welches in welcher Nähe von Weißensee.
– Da gibt es keine Autobahn.Da musst du nachher Pankow raus gen den Ring. Ansonsten für mir hier. Aber solange bis zum Ring ist was auch immer mit Geschwindigkeitsbegrenzung.
Um 21:36 Uhr entriegelte ich den schwarzen VW Polo mit meinem Smartphone. Berlin für Nacht. Leere Straßen. Düstere Musik von Depeche Mode und Massive Attack.
Ich kam in Oberschöneweide an. Ich stieg aus und stellte mich gen den Fußweg, eine Grenze zwischen welcher hell erleuchteten Autobahn und dem dunklen Felsblock des Wuhlheide-Parks. Helles elektrisches Licht und wilde undurchdringliche Finsternis. Ich nahm zusammenführen tiefen Atemzug Luft.
Von dort fuhr ich zur Autobahn 100, durch die Stadt. Verdammte Baustellen, überall ist Tempo 80 trendy. Ein paar Mal ließ ich dasjenige Lenkrad los und ließ den Wagen ein Dutzend Meter außer Kontrolle geraten. Nach zweieinhalb Stunden Fahrt und 40 Euro getilgt, habe ich dasjenige Auto gen demselben Parkplatz am Kreuzpfuhl-Park zurückgebracht. Die Fahrt hat mich klitzekleines bisschen beruhigt, sodass ich gefühlt habe, heute Nacht schlafen zu können.
Ich lausche dem schlafenden Weissensee und hebe den Kopf zum Himmel. Was pro ein friedlicher, ruhiger Himmel! Es sind so viele Sterne zu sehen! Ich atmete tief die kühle Luft ein und ging ins Haus.
Es war von kurzer Dauer nachher Mitternacht, qua ich dasjenige Mädchen angeschrieben habe.
– Wie geht es dir?
– Ich lese die Nachrichten, mache mir Sorgen. Heute hatte ich eine schlechte Verbindung mit meiner Oma und mein mobiles Internet ist ab und zu eigen. Ich weiß nicht, ob dasjenige ein Zufall war. Ich würde dir gerne meine Adresse schicken, ist dasjenige okay pro dich?
– Ja, natürlich. Ich habe neulich darüber nachgedacht. Dass ich eine Plan B Kontaktmöglichkeit mit dir brauche.
Sie schickte ihre Adresse.
– Falls die Welt untergeht, könntest du mir vielleicht zusammenführen Brief schicken.
– Ich schicke ihn beiläufig, wenn die Welt nicht untergeht. Wie kann ich dich besänftigen?
– Ich fürchte, dasjenige geht leider nicht. Es ist schön, mit dir zu reden, und es ist warm.
– Verstehe. Vergesse Bittgesuch nicht, an dich selbst zu denken. Versuche, selbige Nacht ruhig zu überstehen. Morgen reden wir. Ich setze dich gen meinen Schoß und umarme dich. Beruhige dich, mein Sonnenschein. Wir werden selbige Zeit überstehen. Wir sind stark.
– Ich bin dir sehr dankbar. Wenn beiläufig nur um den geringsten Preis. Gute Nacht. Wir sehen uns morgiger Tag zu Beginn.
– Gute Nacht. Bis morgiger Tag