150 Jahre Aufstieg und Abstieg dieser Rechten: „Zeitlang“

Claudia Klischat und Donata Riggs haben mit „Zeitlang“ ein Mehrgenerationendrama geschrieben, das den Aufstieg und Niedergang einer bayerischen Familie erzählt – und deren Verhältnis zur Rechten. Marlen Hobrack hat es für uns gelesen


Claudia Klischat und Donata Rigg verweben die Geschichten kunstvoll miteinander, u.a. die Ludwig Maurers und seiner Leidenschaft fürs Fischen

Foto: picture alliance/Süddeutsche Zeitung/Wolfgang Filser


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In ihrem Roman Zeitlang erzählen Claudia Klischat und Donata Rigg eine Familiengeschichte zwischen Aufstieg und Niedergang. Darin kehrt Verdrängtes und Verschwiegenes wieder, in jeweils anderer Gestalt. Die Autorinnen folgen der Familie durch wechselnde Katastrophenfälle bis in die Gegenwart, in der die Urenkelin nur noch den Verkauf des alten Familienhauses abwickeln kann.

Erzählt wird in zwei Zeitsträngen, wobei sich beide Zeitstränge in der Gegenwart treffen. Im ersten Zeit- und Handlungsstrang lernen wir Benedikt kennen, der in den bayerischen Ort Herzach reist, wo einst der Fischereibetrieb seiner Vorfahren angesiedelt war. Der junge Mann arbeitet seit seinem Journalismusstudium in der Kommunikations- und Werbebranche. Dort entwirft er die PR-Strategie eines rechtspopulistischen Politikers. Benedikt kennt keine Skrupel, und als Leser möchte man unbedingt erfahren, was ihn bloß so ruiniert hat. Gehört er doch zur Generation Erben-West. Wurde er doch von den antiautoritären Eltern der 68er-Generation großzügig mit Vermögenswerten bedacht. Obwohl, vielleicht ist da ein Gefühl: den eigenen Idealismus, mit dem er einst Journalismus studierte, schwinden zu sehen. „Moral plus Dogmatik ergibt Ideologie. Moral plus Integrität ergibt Ethik“, lehrte ihn sein Professor. Benedikt scheint diesen Grundsatz jedoch verdrängt zu haben.

Der zweite Zeitstrang nimmt im Jahr 1868 seinen Ausgangspunkt, noch vor der Ausrufung des Kaiserreichs. Hier lernen wir Ludwig Maurer kennen, der schon als Kind eine Leidenschaft fürs Fischen entwickelt. Ludwig ist ein überzeugter Monarchist, ist er doch nicht nur der Namensvetter des Bayernkönigs, sondern obendrein am selben Tag, dem 25. August, geboren. Das kann kein Zufall sein. Und wenn Ludwig auch nicht zu einem royalen Leben bestimmt ist, so doch wenigstens dazu, seinen Lebenstraum zu erfüllen: einen eigenen Fischereibetrieb zu gründen. Ludwig arbeitet hart, um das nötige Geld zusammenzukratzen. Er lernt Anna kennen, mit der er ein uneheliches Kind zeugt. Sein Sohn Leonhard wird später just an jenem Tag seinen Einberufungsbefehl als Soldat im Ersten Weltkrieg erhalten, als er offiziell den Nachnamen des Vaters annimmt.

Braunes Aufstiegsversprechen

Ein Schicksalstag. Denn Leonhard kehrt kriegsversehrt nach Hause zurück. Anders als sein Vater glaubt er nicht an die Monarchie, schon gar nicht an die Demokratie; er wird Anhänger der NS-Bewegung. Hier nun beginnt eine Parallelisierung der Schicksale der Männer der Familie: Wie sein Urenkel Benedikt wird auch Leonhard in die braune Ideologie verwickelt. Keiner macht sich die Hände schmutzig; man schaut eher, wie die Bewegung dem eigenen Fortkommen nützlich werden könnte. Für Leonhard ist die NSDAP ein Aufstiegsversprechen gegen die Etablierten im Ort.

Nun kommt es nicht alle Tage vor, dass Autorinnen ein gemeinsames Romanprojekt veröffentlichen. Rigg und Klischat arbeiteten sechs Jahre lang an ihrem Roman, der äußerst dicht und materialgesättigt ist. Dabei gelang es den Autorinnen, ihre Figuren mit glaubhafter Psychologie und jeweils ganz eigener Sprache zu entwerfen. Dialekte und Soziolekte prägen die unterschiedlichen Charaktere; sie wirken da besonders überzeugend, wo sie sich in eigenen Widersprüchen verheddern. Gerade die eigensinnige Brigitte, Enkelin Leonhards, schätzt man für ihre grobe Nonchalance. Überhaupt spielen die Frauen in diesem Mehrgenerationendrama eine entscheidende Rolle. Nicht immer eine gute.

Bemerkenswert ist, dass der ganze Roman wie aus einem Guss wirkt: Nirgendwo wird lesbar, dass der Text aus zwei Federn stammt. Man spürt, wie gründlich der Text von beiden Autorinnen wiederholt durchgearbeitet wurde.

Ist diese Geschichte nun eine Untergangsgeschichte? Obgleich von der Abwicklung eines Erbes und dem Niedergang eines Traditionsbetriebs erzählt wird, stieg die Familie über Generationen hinweg auf. Benedikt und seine Schwester Agnes leben ein Mittelklasseleben. Das, was verloren ging, die Tradition, wird ersetzt durch das, was aus ihr folgt: den sozioökonomischen Aufstieg. So wird, paradoxerweise, der Verlust zur Voraussetzung für den Gewinn. Dass die Familie am Ende nicht über das Schweigen, sondern das liebe Geld zu zerbrechen droht, das ist eine schöne Pointe dieses vielschichtigen Romans.

Zeitlang Claudia Klischat, Donata Rigg Ullstein 2024, 624 S., 26,99 €

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