„143“ von Katy Perry: Feminismus, fuck yeah!

Vielleicht hilft es, sich kurz zu erinnern, wer Katy Perry einmal war. Katy Perry war der Gute-Laune-Popstar der 2010er-Jahre, zuverlässige Lieferantin von Karaokeabräumern wie Last Friday Night oder Firework. Mit dem Album Teenage Dream gelang ihr 2010, was zuvor nur Michael Jackson geschafft hatte: Jede der fünf Singles daraus wurde in den USA zum Nummer-eins-Hit. Trotzdem erlebte Perry in den folgenden Jahren einen Bedeutungsverlust, womöglich auch, weil sie als Gute-Laune-Popstar zwischen dem zunehmend politisierten Auftreten der Konkurrenz von Beyoncé bis Taylor Swift immer altbackener aussah. Ihr neues, siebtes Album 143 markiert nach vierjähriger Pause also auch einen Comebackversuch. Dank einiger Hochglanzmomente fällt er nicht ganz so desaströs aus, wie man zunächst befürchtet hatte.

Angefangen hatte es im Juli mit dem Song Woman’s World. „She’s a sister/ She’s a mother“, singt Perry darin, so motiviert, als wären ihr gerade keine anderen weiblichen Rollenbilder eingefallen. Sie sei sexy, heißt es weiter, selbstbewusst, soft und stark zugleich – ein Geschenk des Himmels sozusagen, Gewinnerin, Champion, schlicht übermenschlich toll. Der Dancefloorbeat aus den Achtzigerjahren soll die Botschaft eines Ermächtigungspartybangers unterstreichen, doch die Botschaft klingt nach einer vorgefertigten Instagramkachel, mit der man genauso gut elektrisch betriebene Motorroller oder ökologisch verantwortungsvolle Skincareprodukte bewerben könnte.

Kritik bekam Perry außerdem für ihre Zusammenarbeit an Woman’s World mit dem Produzenten Łukasz „Dr. Luke“ Gottwald zu hören. Die Musikerin Kesha Sebert hatte diesen 2014 wegen der Erzeugung emotionaler Bedrängnis, sexualisierter Hassverbrechen und Diskriminierung am Arbeitsplatz verklagt. Gottwald bestritt die Vorwürfe und verklagte seinerseits Sebert wegen Rufschädigung und Vertragsbruch. Der Prozess endete 2023 in einem Vergleich. Dass Gottwalds bisher größte Popproduktion danach mit feministischer Aussageabsicht einhergeht, erscheint dennoch mindestens zynisch.

Das Video zu Woman’s World half auch nicht. Perry verkleidet sich darin als fiktive Vierzigerjahre-Feministin Rosie the Riveter: rotes Kopftuch, dicker Bizeps, selbstbewusste Pose. Dazu aber trägt sie einen glitzernden Stars-and-Stripes-BH, wedelt mit einem Dildo und übergießt sich mit Alkohol (Flaschenaufdruck: Whisky for Women), bis sie – wer kennt’s nicht? – von einem herunterplumpsenden Amboss zerquetscht wird. Keine Angst, Wiederauferstehung folgt: diesmal in einem weißen Bikini mit Transformers-artigen Beinprothesen. Perry klaut dann noch einer Influencerin ihr Ringlicht in Form eines Venussymbols und verabschiedet sich lässig an einem Helikopter hängend.

Satire sei das, behauptete Perry, als erste Fans ihre Verwirrung über das Video und ihre Enttäuschung über Gottwalds Produktion für Woman’s World ins Internet schrieben. Viele dieser Fans sehnten sich nach der alten Perry, dieser unmissverständlichen Spaßturbine, die in Videos Schlagsahne aus einem Zuckerstangen-Bustier ballerte. Mit der Zaunpfahl-wedelnden Message von Woman’s World konnten sie nichts anfangen. Im Video ihrer obertourigen nächsten Single Lifetimes räkelte sich Perry dann illegalerweise in einem Naturschutzgebiet auf Ibiza und weckte weniger das Interesse der Popwelt als jenes des balearischen Umweltministeriums. Der letzte Vorabsong aus 143 schließlich hieß I’m His, He’s Mine, legte die romantischen Besitzverhältnisse in Perrys Ehe mit dem Schauspieler Orlando Bloom offen und floppte genauso in den Charts wie die beiden Lieder davor.

Das Album 143 verblasst nun beinahe im Vergleich zu dieser Vorabdemontage. Es ist weniger ärgerlich als langweilig. Der Rapper 21 Savage tritt im Trapsong Gimme Gimme auf, kann diesem aber auch nicht mehr hinzufügen als eine Unterstreichung der Botschaft: Wie geil bin ich denn bitteschön?! Der deutsche Auslandspopstar Kim Petras beehrt ein Stück namens Gorgeous, das jedoch auf uninteressante Weise klingt, als probierten die Produzenten (darunter wieder Dr. Luke) einige neu entdeckte Knöpfe an ihren Synthesizern aus. Woman’s World hingegen erscheint im Kontext des Albums – also befreit von seinem Video und dessen sexy-hexy Botschaft – auf launige Weise überdreht. Auch die monotone tuckernde Hydraulik von Crush funktioniert, obwohl sie mit ihren Anleihen beim O-Zone-Hit Dragostea Din Tea ein Revival einzuleiten droht, auf das nun wirklich niemand gewartet hat.

Vergleicht man selbst diese gefälligeren Momente auf 143 mit der Musik jener Popstargeneration, die gerade heller leuchtet als Perry, sieht man, was dieser fehlt. Die 26-jährige Chappell Roan zum Beispiel traf mit dem prophetischen Song Femininomenon nicht nur den Zeitgeist besser, sondern ist auch die bessere Liveperformerin. Sabrina Carpenter, ebenfalls Mitte 20, machte sich auf ihrem Debütalbum Short ’n‘ Sweet die besseren Gedanken über ihr heterosexuelles Beziehungsverhalten. Während es bei Perry noch immer im Stil der Nuller- und Zehnerjahre darum geht, was sie für die Männer sein könnte, dreht Carpenter den Spieß um – ohne daraus krampfhaft einen feministischen Akt machen zu wollen.

Am deutlichsten jedoch zeigt sich Perrys Abgeschlagenheit, wenn man sie mit Charli XCX vergleicht, der wohl größten Popaufsteigerin des Jahres. Eigentlich gehören beide zur gleichen Musikgeneration, auch Charli XCX erlebte erste Erfolge bereits im vergangenen Jahrzehnt. Ihr diesjähriges Album Brat zeigte jedoch eine Weiterentwicklung, die für Perry undenkbar erscheint. Statt sich häuslich zu geben wie Perry, war Charli XCX feierwütig. Statt Schwesternschaften zu besingen, die bei Perry stets rosarot erscheinen wie das Barbieland, trägt Charli XCX in ihren Songs auch Rivalitäten offenherzig aus. Katy Perry will auf 143 allen gefallen, Charli XCX wollte es mit Brat niemandem recht machen. Beide haben jeweils das Gegenteil erreicht.

„143“ von Katy Perry ist bei Capitol/Universal erschienen.

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