Altkanzlerin zur Migrationspolitik: Angela Merkel wollte zu Unionsanträgen „nicht schweigen“

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Kritik an den Anträgen zur Migrationspolitik von Friedrich Merz erneuert. Auch unter schwierigen Bedingungen sollte es nicht dazu kommen, dass Mehrheiten mit der AfD gebildet werden, sagte Merkel der ZEIT. Sie habe es nicht für richtig empfunden, „in einer solchen Situation einfach zu schweigen“ – und deswegen ihre Meinung gesagt. Vorher informiert habe sie Merz darüber nicht.

Merkel sprach von einer Frage grundsätzlicher Bedeutung. Ansonsten mische sie sich ja nicht in die Tagespolitik ein.

Merkel hatte Merz vergangene Woche dafür kritisiert, einen Entschließungsantrag für eine strengere Migrationspolitik mithilfe der AfD durch den Bundestag gebracht zu haben. Noch im November habe Merz in einer Rede gesagt, er sei dagegen, „auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit“ mit der AfD zustande zu bringen, schrieb Merkel auf ihrer Website. Diesen Vorschlag und die damit verbundene Haltung unterstütze sie vollumfänglich. Für falsch halte sie es, „sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen“.

Sie habe sich erst nach der Abstimmung geäußert, weil sie nicht vorschnell habe sein wollen, sagte Merkel der ZEIT. Nachdem die Mehrheit zustande gekommen war, habe sie „nochmal eine Nacht darüber geschlafen“ und sich dann für die öffentliche Kritik entschieden. Schwer getan habe sie sich damit nicht. „Das macht man nicht gerne, das weiß ich schon, aber ich musste es einfach sagen„, sagte Merkel. Von anderen Parteimitgliedern sei sie dazu nicht aufgefordert worden.

Durch Annahme des Unionsantrags sei eine „Polarisierung“ eingetreten, sagte Merkel. Dass im Wahlkampf unterschiedliche Positionen deutlich gemacht würden, sei richtig. Nach der Wahl müssten aber auch wieder Kompromisse möglich sein. Die Stimmung im Land beschrieb Merkel als „aufgewühlt“. Sie finde es zudem bedrückend, wenn Wahlkämpfer angegriffen würden.

„Von einer Bundeskanzlerin erwartet man, dass die irreguläre Migration reduziert wird“

Von Kritik an ihrer Migrationspolitik fühle sie sich angesprochen, sagte Merkel. „Von einer Bundeskanzlerin erwartet man, dass die irreguläre Migration reduziert wird“, sagte Merkel. In den Jahren 2017, 2018 und 2019 habe man das gut geschafft, sagte die Altkanzlerin und verwies auf Grenzkontrollen zu Österreich und das EU-Türkei-Abkommen. Sie halte deswegen die Asyl- und Einwanderungspolitik der letzten zehn Jahre – anders als Friedrich Merz – nicht für „verfehlt“. Man sei aber „noch nicht am Ende der Arbeit“. Sie frage sich auch, warum es so schwer sei, Ausreisepflichtige „zur Ausreise zu bewegen“ und warum zwei Drittel der Ausländerämter immer noch nicht digitalisiert seien.


Angela Merkel ZEIT Stunde Hamburg Live Talk

Angela Merkel im Gespräch mit ZEIT-Politikredakteurin Mariam Lau und mit Roman Pletter, dem Leiter des Wirtschaftsressorts der ZEIT.

Den Aufstieg der AfD erklärt sich Merkel nach eigenen Angaben auch durch den Streit zwischen CDU und CSU in der Migrationspolitik während ihrer Kanzlerschaft. „Es ist nicht richtig gewesen, dass wir so viel gestritten haben“, sagte Merkel. Sie sagte aber auch: Als sie aus dem Amt ausgeschieden sei, habe die AfD bei 11 Prozent gelegen. Dass sie nun bei mehr als 20 Prozent liege, sei „nicht mehr meine Verantwortung“.

Angela Merkel war von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie war die erste Frau in dem Amt. Ihre Regierungszeit war geprägt von der Wirtschafts- und Eurokrise, dem Atomausstieg, der Geflüchtetenbewegung 2015 und der Coronapandemie. Seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs steht ihre Russland- und Energiepolitik immer wieder in der Kritik.

„Ich war halt langweilig“

Am 26. November 2024 hat Angela Merkel ihre Autobiografie mit dem Titel Freiheit veröffentlicht, die sie zusammen mit ihrer ehemaligen Büroleiterin Beate Baumann geschrieben hat.  

Es freue sie, dass „so viele junge Leute“ ihr Buch lesen würden, sagte Merkel. Zu Kritik an ihrem Buch sagte sie: „Ich war halt langweilig.“ Das habe man schon über sie gesagt, als sie Bundeskanzlerin gewesen sei. Dass sie ein Enthüllungsbuch schreibe, in dem sie endlich mal „die Katze aus dem Sack lasse“, hätten vielleicht manche erwartet. Ihr sei es aber ein Anliegen gewesen, zu beschreiben, wie Politik funktioniere, sagte Merkel. Wie viel langen Atem man manchmal brauche, dass man, wenn man Interviews gebe, „am besten nicht gehetzt die Treppe hochkommt und außer Atem ist“.