Alkohol und Zigaretten: Dann doch lieber eine rauchen
In der Reihe „Die Pflichtverteidigung“ ergreifen wir das Wort für Personen, Tiere, Dinge oder Gewohnheiten, die von vielen kritisiert und abgelehnt werden. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 21/2023.
Kommenden Mittwoch ist Weltnichtrauchertag. Die Initiatoren von der Weltgesundheitsorganisation dürften diese jüngste Meldung deshalb umso freudiger aufnehmen: Schweden wird in wenigen Monaten das erste „rauchfreie“ Land der Welt sein. Das bedeutet: Die Quote der Raucher ist dann voraussichtlich unter fünf Prozent gefallen. Neuseeland will bis 2025 nachziehen, weshalb es nach 2008 geborenen Menschen dort jetzt schon verboten ist, Kippen zu kaufen. Auch wenn in vielen anderen Ländern noch weitaus mehr gepafft wird und unter jungen Deutschen der Raucheranteil zuletzt sogar wieder stieg, bleibt der langfristige Trend klar: Ob des gestiegenen Gesundheitsbewusstseins und politischen Regulierungen löst sich der Tabakdunst so langsam in reinste Luft auf.
Doch nicht nur Raucher stehen unter Entwöhnungsdruck. Auch vielen Biertrinkern erscheint das Glas schon halb leer. So hat Irland, immerhin eine Art Mutterland der Betrunkenen, jüngst beschlossen, alkoholhaltige Getränke mit Kalorien- und Krebshinweisen zu versehen. Wer jetzt nur noch mit einem KiBa an der Bar hockt, ist dem Selbstzerstörungsverdacht aber noch lange nicht entkommen. Bekanntlich ist Sitzen ja das neue Rauchen und damit fast so schlimm wie Hitler.
Nun muss man zunächst eingestehen: Es stimmt ja, von Rauchen, Saufen und Sitzen, zumal in Kombination, kriegt man Krebs, Kreislauf, das ganze Programm. Und es ist auch nicht so, dass das lediglich eine Frage der individuellen Lebensführung wäre. Schließlich wird der ganze Spaß am Ende ja von der Solidargemeinschaft bezahlt. Deshalb müssen sich wahre Anhänger dieser melancholischen Alltagslaster auch vor falschen Freunden hüten. Also jenen prototypischen Uwes und Bernds, die im Namen wutbürgerlicher Selbstbestimmung auf Facebook gegen Fahrradfahrer, Sellerieschnitzel und Gesundheitskommunismus kämpfen, die Behandlungskosten ihrer Leberzirrhose im Zweifelsfall dann aber vergemeinschaftet wissen wollen.
Hart gegen Quatschdrogen
Das starke Argument dafür, sich ab und an mal einen in die Galeere zu rudern und die Lunge durchzuföhnen, liegt woanders. Richtig verstanden sind Trinken, Rauchen und Sitzen nämlich Präventionslaster: Sie bewahren einen im Zweifel davor, noch viel dümmere Sachen zu tun. Dafür genügt ein Blick auf Instagram, wo notorische Highperformer dafür werben, möglichst abstinent zu leben, um schon morgens um fünf Uhr irgendein halblegales Schneeballsystem aufzusetzen. Und wann haben Sie zuletzt einen kriminellen Banker oder brutalen Diktator mit gelben Zähnen und sehr angetüdeltem Gang gesehen? Eben! Besteht eine Geißel unserer Zeit darin, dass zu viele Menschen einfach zu viel Energie für zivilisatorischen Unsinn haben, ist zunächst alles zu begrüßen, was destruktive Hyperaktivitäten dämpft.
Das wiederum lässt nur folgenden Schluss zu: Während auf der einen Seite gegen aktivierende Quatschdrogen wie Kokain und Speed hart vorgegangen werden muss, braucht es einen großen Toleranzraum für jegliche Formen von Sedierung und Sitzenbleiben. Das nimmt dann aber auch Trinker und Raucher in die Pflicht. Schließlich macht ein Zuviel an Alkohol und Qualm wiederum auch viel zu hibbelig. Man höre deshalb auf die Empfehlung des großen Charles Schumann. Der legendäre Barbesitzer empfahl unlängst im ZEITmagazin: „Alkohol ist wie ein Freund, aber behandele ihn auch wie einen Freund.“ Und das gilt gleichermaßen auch fürs Rauchen und Sitzen. Wer das Laster liebt, übertreibt es nicht.