Alexander Dobrindt: Bei ihm kann sich Friedrich Merz bedanken

Manchmal sind die richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und manchmal sind es sogar solche, von denen man es am wenigsten erwartet hätte. Zum Beispiel Alexander Dobrindt, 54, derzeit noch der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Dieser Dobrindt, der schon Reden schwang wie ein Rechtspopulist, lange bevor es die AfD überhaupt gab, zählt nun zu den wichtigsten Architekten der schwarz-roten Koalition. Kurz vor der Einigung mit der SPD hatte Dobrindt die Grünen umgarnt, dass diese einer Grundgesetzänderung zustimmten und somit die Anschubfinanzierung für die künftige Regierung bereitstellten. Ohne Dobrindt keine Einigung mit den Grünen, ohne Grüne kein Schuldenpaket, ohne Geld keine stabile Regierung. So kann man, leicht verkürzt, die Genese der vergangenen Wochen nacherzählen.

Wenn sich also der Sauerländer Friedrich Merz am 6. Mai im Bundestag zum Regierungschef wählen lassen wird, dann hat der Mann aus Peißenberg in Oberbayern, idyllisch zwischen Starnberger See und Schloss Neuschwanstein gelegen, daran entscheidend Anteil. Und steht somit selbst vor dem Sprung nach ganz oben. Bundesinnenminister könnte er werden, eines der wichtigsten Regierungsämter.

Bekommt Dobrindt jetzt das Innenministerium?

Zur Erinnerung: Jener Dobrindt hatte noch vergangenen September gegiftet, die Grünen seien „der Brandbeschleuniger für die Polarisierung in unserer Gesellschaft und maßgeblich verantwortlich für das weitere Aufwachsen von radikalen Parteien wie der AfD“.  Dobrindt war es auch, der in Anlehnung an die späte Weimarer Republik eine „konservative Revolution“ forderte. Er klebte seinem damaligen Koalitionspartner von der FDP das Etikett „Gurkentruppe“ an, nannte Sigmar Gabriel „übergewichtig und unterbegabt“, und sagte mit Blick auf die Proteste gegen den Stuttgarter Bahnhofsneubau: „Diejenigen, die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen irgendwann ein Minarett im Garten stehen haben.“ Es gab eine Zeit, in der Dobrindts populistische Schimpftiraden so gefürchtet waren wie seine groß karierten Anzüge („Kleinkariertheit gibt es in der Politik schon genug“).

Nun tourt derselbe Mann seit Wochen durch Talkshows, säuselt Wörter wie „Vertrauen“ und „Verantwortung“ und lächelt dabei milde. Auch sein Kleidungsstil hat so gar nichts mehr Extravagantes an sich. In einem Podcastinterview erklärte Dobrindt seinen jüngsten Schlichtungserfolg im Steuerstreit zwischen Union und SPD, der die Koalitionsverhandlungen fast noch zum Kippen gebracht hätte, folgendermaßen:  Es bringe in Verhandlungen niemand etwas, „mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen, bis alle blutig sind“. Er sei jemand, „der eine Tür sucht, durch die man gehen kann“. Er spricht von Menschenkenntnis. Dass man wisse, wie das Gegenüber eigentlich sonst so drauf sei, wenn nicht gerade Koalitionsverhandlungen sind. Das weiß Dobrindt ohne Zweifel, seit 23 Jahren ist er Bundestagsabgeordneter, vier Koalitionsverhandlungen hat er mitgemacht.

Und doch ist da ein anderer Mensch zu bestaunen: Dobrindt, der Konziliante, der Grünen-Flüsterer, der Kanzlermacher. Warum diese Wandlung und wohin ist der alte, populistisch grantelnde Dobrindt entfleucht?

Womöglich hat die Aussicht auf ein großes Ressort Dobrindt diszipliniert. Dass der ehemalige Maut-, Pardon, Bundesverkehrsminister (2013 bis 2017) in eines der großen Ministerien aufrücken würde, galt schon vor der Wahl als ausgemacht.

Merz‘ politisches Schicksal läge in Dobrindts Geschick

Markus Söder hatte sich das wichtigste CSU-Ministerium für ihn gewünscht, er vertraut seinem Statthalter in Berlin. Was gleich doppelt bemerkenswert ist, denn Dobrindt arbeitet ebenso geräuschlos mit Friedrich Merz zusammen, ist also das Scharnier zwischen CDU- und CSU-Chef, balanciert damit zwei der wohl größten Egos der Republik. Im Falle Söders ist das bemerkenswert. Denn Dobrindts Förderer und Mentor war lange Zeit Horst Seehofer, Söders Intimfeind. Von Seehofer soll dieser bezeichnende Satz stammen: „Ein Alexander Dobrindt scheitert nicht.“ Er war es, der seinen Generalsekretär 2013 zum Verkehrsminister berief.

Doch das mit Seehofers Pkw-Maut für Ausländer erwies sich für den Neu-Minister als besondere Herausforderung – das Projekt wollte einfach nicht so funktionieren, wie die CSU sich das ausgemalt hatte. Zumal es viel Verwaltungsaufwand kostete, aber dem Staat am Ende nicht wirklich viel Geld einbrachte. Und sich obendrein einige Jahre später noch als Verstoß gegen das Europarecht entpuppte. Ob es Dobrindt war, der die Einführung der Maut vermasselte oder sein Nachfolger Andreas Scheuer, das Projekt einfach nicht umsetzbar war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Sicher ist: Die Zeit als Bundesverkehrsminister gilt nicht als die glänzendste in Dobrindts Lebenslauf.

Dieses Mal muss es also besser werden. Zunächst wurden Finanzen oder Verteidigung als mögliche Häuser für den Dobrindt genannt. Und nein, schlecht würde er keinen dieser Jobs machen, sagt selbst ein linker Grüner anerkennend. In den Koalitionsverhandlungen hat die CSU den Zuschlag fürs Innenministerium bekommen, womit Dobrindts nächster Karriereschritt vorgezeichnet scheint. Was bedeutet: Wahrscheinlich wird es an Dobrindt liegen, eines von Merz‘ zentralen Wahlversprechen einzulösen – eine Migrationswende samt Zurückweisungen von Schutzsuchenden an Deutschlands Außengrenzen. Merz‘ Schicksal liegt erneut in Dobrindts Geschick.

Dobrindt beackert das Thema ausdauernd, kalkuliert und mit kühlem Temperament und das bereits seit Jahren: Er galt als einer der treibenden Kräfte hinter dem sogenannten „Masterplan Migration“, den Seehofer als Bundesinnenminister im Sommer 2018 vorlegte – zentraler Streitpunkt schon damals: Darf die Bundespolizei illegale Einreisen an der Grenze unterbinden, auch wenn die Migranten angeben, „Asyl“ zu suchen? Kanzlerin Angela Merkel meinte: Nein. Seehofer sagte: Doch – und feuerte einen Streit an, der beinahe die Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU zerriss. Nun könnte Dobrindt das Werk seines einstigen Parteichefs fortsetzen – diesmal mit voller Unterstützung der Schwesterpartei.

Das Innenministerium würde für Dobrindt ein gewaltiges Handlungs- und Machtfeld eröffnen, außerdem Zugang zum exklusiven Beraterkreis des Kanzlers, zum Beispiel im Bundessicherheitskabinett. Ein „Verfassungsressort“ ist das Bundesinnenministerium, lange hieß es, das müsse schon ein Jurist führen. Dobrindt ist Diplomsoziologe und war mal Geschäftsführer eines heimischen Gerätebauunternehmens. Aber er ist auch ein politischer Vollprofi, gewiefter Verhandler und Stratege.

Trotzdem dürfte sich Dobrindt das mit dem Bundesinnenministerium gut überlegen, Kopfmensch, der er ist. Innenminister, das ist ein Job, der einen nachts manchmal nicht schlafen lässt, wie Amtsvorgänger Thomas de Maizière mal erzählte.  Schließlich trägt der Minister für hochsensible Sicherheitsbelange die politische Verantwortung: ahnungslose Geheimdienste, nicht abgeschobene Messermörder, rechtsextreme Umtriebe in der Polizei.  

Dobrindt könnte wohl auch Landesgruppenchef der CSU bleiben, ein Job mit viel Beinfreiheit. Das hieße aber auch: Seine Karriere würde stagnieren, und das passt nicht zu jemandem, der so machtbewusst ist. Zumal es in der CSU, ja vielleicht sogar in der Merz-CDU gerade kaum jemanden gibt, dem man so viel zutraut. Über die Ostertage werde er „ein bisschen nachdenken, wie die eigene Zukunft ausschaut“, so viel ließ Dobrindt sich bislang entlocken. Es klang auf jeden Fall so, als habe er die Wahl.