Album der Woche mit Arlo Parks: Der Blues der letzten Generation

Sängerin Arlo Parks
Foto: Alex Waespi
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Album der Woche:
Arlo Parks – »My Soft Machine«
»Im Moment fühlt es sich nicht so an, als würde um mich herum alles explodieren«, sagte die britische Sängerin Arlo Parks noch Anfang 2021 im Interview mit dem SPIEGEL. Damals wusste sie allerdings schon, dass Berühmtheiten wie Billie Eilish und Michelle Obama zu ihren Fans zählten. Einige Monate später gewann sie erst mehrere Brit Awards, später den renommierten Mercury Prize für ihr Debütalbum »Collapsed In Sunbeams«, das inzwischen mit tröstlichen Songs wie »Black Dog« oder »Too Good« zu einer Art Trost-Soundtrack für den postpandemischen Kater der Jugend geworden war. Und dann fingen die Ereignisse um Parks herum wirklich an zu explodieren. Während der Coronazeit konnte die Newcomerin kaum live auftreten. Im Sommer 2022 stand sie nun plötzlich als gefeierter Popstar und Befindlichkeitssonar ihrer Generation auf der Riesenbühne des Glastonbury-Festivals. Ein Termin jagte den nächsten, ein Auftritt den anderen.
Der Kollaps im grellen Rampenlicht folgte prompt: Im September letzten Jahres brach sie ihre US-Tournee mit der Begründung eines akuten Burn-outs ab: Ihre mentale Gesundheit sei »zu einem lähmenden Zustand verkommen«, sagte sie damals. Zwischenzeitlich war die im Jahr 2000 als Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho in West-London geborene Musikerin nach Los Angeles umgezogen, wo sie die meiste Zeit mit ihrer Freundin, Punk-Rapperin Ashnikko lebt. Nun kehrte sie nach London zu ihrer Familie zurück, um wieder zu Kräften zu kommen.
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Die Musik auf ihrem zweiten Album erzählt von den Folgen dieser Überforderung. »My Soft Machine«, das ist ihr eigener Körper, der zwar durch die neu gefundene Liebe von euphorisierenden Endorphinen durchtränkt ist, aber immer noch die Schrunden der jüngsten Zeit mit sich herumträgt – eine verletzliche Maschine, die nicht rund läuft. Die Stimmung ist also gedrückter, der Sound synthetischer, ein akustisches Abbild der Plastikrealität ihrer Wahlheimat.
Statt dem warmen Soul und analogem Folk von Vorbildern wie Nick Drake oder Elliott Smith stand nun der elektronische Hyperpop von britischen Dance-Persönlichkeiten wie Joy Orbison oder John Glacier Pate, sagte Parks kürzlich dem »Guardian« . Produziert wurde das neue Album von US-Pop-Spezialisten wie Ariel Rechtshaid (Haim) und Buddy Ross (Frank Ocean). Es ist ein Sound, der muskulöser und reifer, aber auch kühler wirkt, der sich mehr Experimente und Beats zutraut, auch mal lautstark mit Gitarren raumgreift wie die Neunziger-Indierock-Hommage »Devotion«.
Der Großteil der neuen, wie gewohnt tagebuchartigen Lieder jedoch fließt melancholisch und leicht benommen dahin. Die Fröhlichkeit, die bei aller Tiefe und Tragik der Songtexte bisher durch Parks’ Songs wehte, scheint verflogen. Pop-Hooks, wie etwa im verknallt glitzernden »Pegasus« (mit Parks’ guter Freundin Phoebe Bridgers), gibt es jetzt seltener, manches verdröhnt gar im Mainstream-Einerlei (»Dog Rose«). Aber das bedeutet nicht, dass die Songwriterin Parks weniger funkelt. »Purple Phase« und »Room (Red Wings)« greifen noch einmal ihre Rolle als Achtsamkeitsengel vom Debüt auf, sie handeln von Freundinnen, die zu nah an den Drogenabgrund gekommen sind und gerettet werden müssen.
Parks gibt sich fragil, aber auch gestärkt durch ihre eigenen Krisen. Zu Beginn des Albums, im schönen »Bruiseless«, sehnt sie sich noch nach der Unschuld der Kindheit zurück: »I just wish I was seven and blameless«, akzeptiert dann aber weise in »Hurt Forever« den Gen-Z-Blues, dass sie und ihre Alterskohorte nur verängstigte Kids sind, die irgendwie mit dem ganzen Kummer klarkommen müssen: »I know some things don’t get easier, / I know some things hurt forever«.
Am stärksten ist Parks immer dann, wenn sie Celebrity- und Markennamen (Wim Wenders und Juliette Binoche, Mugler-Sonnenbrillen und Cadillac Esclade) in ihre anekdotischen Texte einstreut – nicht als Checker-Pose, sondern um sie realitätsnäher wirken zu lassen. Ihre Beschreibungen sind plastisch, wenn sie in »I’m Sorry« eine unangenehme Beziehungsszenerie auf dem Weg in ein Diner schildert: »Petrol in the air, wisteria and scrambled eggs« – man riecht und schmeckt es förmlich.
In dem Song, einer der besten des Albums, geht es darum, wie sehr die Protagonistin, in diesem Fall wohl Parks selbst, darunter leidet, sich nicht der anderen Person öffnen zu können: Es sei leichter, sich stumpf zu stellen, singt sie, während sie sich ständig entschuldigt, es sei halt schwer, jemandem zu vertrauen, daran würde sie unablässig arbeiten: »Tried to tell my therapist everything, tried to meditate, fuck the pain away, tried to move out to L.A., dye my hair lime, be a saint«, zählt sie in einer Art Rap-Gesang ihre Katharsis-Odyssee auf, »but I won’t peek through the blinds I’ve shut in myself and so nothing changed.«
Ein zaghaftes Blinzeln ins Licht durch die halb geschlossenen Jalousien des Gemüts, das ist ein schönes Bild für den Sound dieser Platte, die zwischen Nervosität und Taubheit, Lähmung und Aufbruch eine besondere Spannung findet – und Storyplots, die sich wie Szenen aus einer Emo-Soap auf Netflix lesen. Arlo Parks bleibt sich selbst und dem Zeitgeist vorerst auf der Spur. (7.7)
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Kurz abgehört:
Bar Italia – »Tracey Denim«
Viel weiß man nicht über das Londoner Trio mit dem kokett Richtung Pulp weisenden Namen Bar Italia, aber man ahnt, dass Jezmi Tarik Fehmi, Sam Fenton und Nina Cristante vorrangig existenzialistisches Schwarz tragen und vermutlich dieselben Achtziger- und Neunzigerjahre-Platten gehört haben wie, siehe oben, Arlo Parks. Dafür spricht unter anderem das krachende, an Pixies und Breeders erinnernde »Friends«. Anderes reproduziert mit kompetent aktualisierter Lakonie und Miesgelauntheit die Ängste und Frustrationen von Slowdive, Pavement, ein bisschen New Order (»Clark«) und viel, viel The Cure. Kultursinnig wird mit Germanismen (»Punkt«) und ironischen Kunstanklängen gespielt (Tracey Denim = Tracey Emin). Sie hätten sich auch »Bauhaus« nennen können, wenn das nicht schon viel früher anderen eingefallen wäre. Ein Fest für Popkritiker und andere Crate-Digger also – und für Jüngere, die keine Lust haben, sich die Originale auf Spotify playlisten zu lassen. Gegenüber den frühen Singles und ersten Alben der Band ist der bleiche Neo-New-Wave-Sound des Debüts beim namhaften Matador-Label nun beinahe so klar, präzise und rauschfrei wie einst bei den Young Marble Giants. Neu und topmodern sind hingegen die abwechselnden, also basisdemokratischen Gesänge der drei Mitglieder in fast jedem Song, was wiederum an The xx erinnert. Selbstgespräche in der Indie-Karaoke-Bar. (7.2)
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