Aktion | Letzte Generation: Zu Unrecht kriminalisiert

Niemand mag die Überbringer:innen schlechter Nachrichten. Im Englischen gibt es sogar ein Sprichwort dafür: „Don’t shoot the messenger“ (erschießt nicht den Boten). Denn der kann ja nichts für die Nachricht, die er bringt. Die „Letzte Generation“ ist so ein bisschen dieser Bote, auf den alle einschlagen, weil sie die Nachricht nicht hören wollen. Eigentlich will die Gruppe nichts weiter, als dass wir die Klimakrise endlich ernst nehmen und dass die Politik entsprechend handelt. Doch anstatt sich ihrer Verantwortung zu stellen, teilt diese (verbal) gegen die Letzte Generation aus, kriminalisiert sie und trägt damit zu der gesellschaftlich aufgeheizten Stimmung gegen die Aktivist:innen bei.

Die Liste der Bezeichnungen für die Gruppe ist lang: Alexander Dobrindt (CSU) prägte die Bezeichnung „Klima-RAF“, aber auch „Klimaterroristen“ wird in den sozialen Medien und der Springer-Presse am laufenden Band geteilt und getitelt. „Klimakleber“ ist schon beinahe in den allgemeinen Wortschatz übergegangen. In Reaktion auf die Ankündigung der Gruppe, den Berliner Straßenverkehr ab Ende April lahmzulegen, sprach CDU-Generalsekretär Mario Czaja im Deutschlandfunk von Extremisten und warf der Letzten Generation auf Twitter vor, Berlinerinnen und Berliner, „die einfach nur zur Arbeit wollen, in Geiselhaft“ zu nehmen. Und Justizminister Marco Buschmann (FDP) sieht im gewaltlosen Festkleben sogar eine Wiederkehr der gewalttätigen Straßenschlachten in der Weimarer Republik.

Keine Frage: Sich dem Verkehr in den Weg zu setzen, sich am Asphalt festzukleben und sich zu weigern, aufzustehen und zu gehen, wenn die Polizei dazu auffordert, ist Nötigung. Mit den Straßenschlachten hat das höchstens die Straße als Ort des Geschehens gemeinsam. Das mit schweren Gewalttaten gleichzusetzen, wie es ausgerechnet der Justizminister tut, ist Ausdruck einer tief sitzenden Unfähigkeit, mit dem Protest angemessen umzugehen.

Der Rechtsstaat greift gegen die Letzte Generation durch

Die Letzte Generation bringt den Staat und seine Vertreter:innen bewusst in eine Zwickmühle: Er könnte entweder hart durchgreifen, dem Sprichwort entsprechend also „den Boten erschießen“ – oder sich die Mitteilung anhören und daraus Konsequenzen ziehen. Die Politik setzt starke Klimapolitik jedoch mit einem Einknicken vor Erpresser:innen gleich. Und so scheinen 80 Prozent der Bevölkerung, genau wie die Mehrheit der Politiker:innen und Behörden, derzeit die erste Option zu präferieren. Bisher zeigen sich die Aktivist:innen davon unbeeindruckt.

Mit berechenbarer Regelmäßigkeit tauchen sie wieder auf den Straßen auf. Und je häufiger sie auftauchen, desto härter muss durchgegriffen werden. Die Bild mag noch so oft „Kapituliert unsere Justiz vor den Klima-Radikalen?” titeln, Justiz und Behörden sind keineswegs machtlos oder fassen die Bewegung wohlwollend mit Samthandschuhen an. In Berlin wurden am Montag 200 Aktivist:innen nach den angekündigten Blockaden von der Polizei mitgenommen. Rund 50 blieben in Gewahrsam, dass es nicht noch mehr waren, lag wohl am Platzmangel. Die Letzte Generation ist an ein solches Vorgehen inzwischen gewöhnt. Regelmäßig werden ihre Mitglieder angeklagt, stellen sich Strafprozessen und werden zu Geldstrafen von mehreren hundert bis tausend Euro verurteilt. In Heilbronn wurden inzwischen auch Gefängnisstrafen verhängt. Der Rechtsstaat kann also durchgreifen und das auch, weil sich die Aktivist:innen dem Prozess nicht entziehen. Sie stehen mit ihrem Gesicht und Namen zu den Aktionen.

Einen Effekt auf die Blockaden hatten die Strafen bisher nicht, weshalb seit einigen Monaten der Druck erhöht wird. In Bayern wird seit vergangenem Jahr der Paragraf 11a des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) angewendet, um Aktivist:innen bis zu 30 Tage in Präventivhaft zu halten, falls sie bei der Festnahme ankündigen, sich erneut auf die Straße kleben zu wollen. 30 Tage Haft, weil jemand für den Klimaschutz den Verkehr blockiert? Der Paragraf war ursprünglich für terroristische Gefährder:innen gedacht, bei denen eine akute Gefahr bestand, dass sie eine schwerwiegende Straftat, also einen Anschlag planen, dessen Ziel die Gefährdung von Menschenleben ist.

Während der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) für diesen Umgang mit den Aktivist:innen scharf kritisiert wurde, plant auch der neue schwarz-rote Senat in Berlin, die eigene Präventivhaft auszuweiten.

Eine kriminelle Vereinigung, die Gewaltfreiheit predigt?

Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung Ende vergangenen Jahres ging in eine ähnliche Richtung. Das Verfahren in Berlin ist inzwischen eingestellt, weil Sitzblockaden keine schwere Straftat darstellen, die den Vorwurf gerechtfertigt hätte. Die Tatsache, dass es sich um falsche Anschuldigungen handelte, versandete in den Meldungen. Was jedoch bleibt, sind die Bilder der Hausdurchsuchungen – und die Vorwürfe.

Die Letzte Generation wird öffentlich zu Verbrechern abgestempelt, während sie strikte Gewaltfreiheit praktizieren. Bei ihren Blockaden sitzen die Mitglieder ruhig auf der Straße. Sie pöbeln niemanden an, heben nicht einmal die Stimme. Es sind die Autofahrer, die in ihrem Frust, der durchaus verständlich ist, gewalttätig werden. „Einfach die Hand abhacken“, ruft ein SUV-Fahrer dieser Tage im Kreisverkehr um die Siegessäule in Berlin in Richtung der Klimaaktivist:innen. Von der Blockade der A 100 ging ein Video viral, in dem ein Mann zwei Aktivistinnen an ihren Haaren von der Straße zieht. Auch in Bäuche wurde schon getreten, in Gesichter geschlagen und gezielt über Füße gefahren.

Diese Gewalt wird jedoch kaum geahndet. Auch weil die Letzte Generation selbst keine Anzeigen stellt. Nach den ersten Aktionen nun in Berlin prüfte die Polizei insgesamt acht Fälle von Gewalt gegen Mitglieder der Gruppe, drei gingen bei der Staatsanwaltschaft ein, von denen zwei wegen unbekannter Täter:innenschaft eingestellt wurden. Auch die Polizei hat sich in den vergangenen Tagen in Berlin nicht von ihrer besten Seite gezeigt. Videos von Schmerzgriffen, insbesondere an einem Aktivisten, machten die Runde. Gegen den Beamten wird inzwischen wegen Körperverletzung ermittelt.

Mehrheit für die Forderungen, nicht die Proteste

Dass die Stimmung gegen die Gruppe immer brutaler wird, beobachtet auch Carla Rochel, Pressesprecherin der Letzten Generation. Natürlich habe sie derzeit Angst, sich auf die Straße zu kleben, aber nicht so viel Angst wie vor der Klimakrise. Und außerdem: „Was ist denn die Alternative? Wir haben alles andere in diesem System probiert: Petitionen geschrieben, demonstriert, sind wählen gegangen. Es hat sich nichts verändert.“

Die Gruppe wird regelmäßig, auch von Seiten der Grünen und Fridays for Future, dafür kritisiert, dass sie mit ihrem Protest die Menschen eher vom Klimaschutz abbringt, als Unterstützer:innen zu finden. „Wir brauchen keine Mehrheit, die sich auf die Straße klebt“, meint Rochel, „wir brauchen eine Mehrheit für Klimaschutz“.

Und tatsächlich scheint die Kritik nicht dazu zu führen, dass wir plötzlich weniger über die Klimakrise reden, geschweige denn sie nicht mehr ernst nehmen. In unserer Kritik kommen wir nicht umhin, der Letzten Generation Raum für ihre Position einzuräumen. Sie werden uns vielleicht nicht sympathischer, wenn wir sie in den Talkshows sprechen hören. Aber zumindest hören wir sie dort.