„Aktenzeichen XY“ mit Nancy Faeser: Eingeseift vom Chatchinesen

Innenministerin Nancy Faeser bei »Aktenzeichen XY«

Innenministerin Nancy Faeser bei »Aktenzeichen XY«


Foto: Securetel / ZDF / picture alliance
/ dpa

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Schließen Sie kurz die Augen und stellen Sie sich vor, Sie wären Nancy Faeser. Oder, das ist für unsere Versuchsanordnung einerlei, man hielte sie zumindest aufgrund hartnäckiger verwechslungskomödiantischer Umstände zumindest für die Bundesinnenministerin und karrte Sie deshalb trotz Ihrer hartnäckigen Dementi, allerhand Händeringen und Gezeter ins Studio von »Aktenzeichen XY«, wo Sie gleich in einer Sondersendung zum Thema »Vorsicht, Betrug!« auftreten sollen. Ihre hartnäckigen Aufklärungsversuche bleiben unerhört, man reicht Ihnen nur stumm TV-adäquate Sitzpumps und ein Etuikleid in den Fond. Sie ergeben sich irgendwann in Ihr Schicksal und beschließen, einfach mit dem Flow zu gehen.

Sie setzen sich im Studio auf Ihren angewiesenen Platz in der Expertenkulisse und sehen sich den ersten Einspielfilm an. Ein »sportlicher Ingenieur« verliebt sich erst in seine chinesische Arbeitskollegin, die ihm in der Mittagspause natürlich zeigt, wie man sachgemäß mit Essstäbchen hantiert, denn worüber sollte man auch sonst mit einer chinesischen Kollegin reden. Als die Kollegin irgendwann kündigt und die Firma verlässt, fragt er sie selbstverständlich nicht nach ihrer Telefonnummer, obwohl sie ihn auch durchaus zu mögen scheint, sondern meldet sich bei einem chinesischen Chatportal an, wo er sich rasant von einer Betrügerin mit dem kaum auffälligen Betrügerinnennamen Yushi Yang einseifen lässt. Die gemeine YY lockt den Ingenieur in einen Bitcoin-Trading-Scam, auch ein Videochat bei dubiosen Lichtverhältnissen lässt ihn nicht misstrauisch werden, was aber verständlich ist, weil er zwischendurch immer wieder seinen Hund fragt, ob der denkt, dass die Sache hasenrein ist, und der Hund, in Bitcoin- und Beziehungsbelangen nicht der hellste, bellt jedes Mal trottelig sein Okay. Lassie dreht sich im Grabe um, und zack, hat Herrchen sein ganzes Erspartes versemmelt.

»Das kann jedem und zu jeder Zeit passieren«

Sie seufzen, lassen sich inzwischen widerspruchslos mit »Frau Ministerin« anreden und noch mal nachpudern. Sie müssen sogar kurz schmunzeln, als Moderator Rudi Cerne klassisch-mottiges Aktenzeichen-XY-Vokabular wie »Schindluder« verwendet und vor den »bösen Buben« warnt. Im nächsten Einspieler geht es um den zum »Schockanruf« modernisierten Enkeltrick, bei dem eine osteuropäische, aber akzentfrei operierende Bande einer arglosen Seniorin mit gut gefüllter Schmuckschatulle in einem dramatischen Telefonanruf vorgaukelt, ein Verwandter von ihr sei in einen tödlichen Autounfall verwickelt und bräuchte von ihr nun 70.000 Euro Kaution, um aus diesem Schlamassel herauszukommen, woraufhin die Betuppte nicht nur ihren Designerring mit Tahiti-Perle rausrückt, sondern sogar ihr hochwertiges Porzellanservice anbietet.


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Dann wird es kurz hektisch, denn jetzt sind Sie dran, beziehungsweise Nancy Faeser, was für Sie gerade keinen Unterschied macht. Wie es Ihnen denn damit gehe, wenn Sie diese Betrugsfälle sehen, will Rudi Cerne wissen, und Sie sagen, was wahrscheinlich jeder Mensch sagen würde, nämlich, dass Sie das richtig wütend macht. Was Sie den Opfern solcher Machenschaften raten? »Es gibt überhaupt keinen Grund, sich zu schämen«, improvisieren Sie, »das kann jedem und zu jeder Zeit passieren«, fügen Sie kühn hinzu, obwohl Sie sich dabei denken, dass Sie selbst wahrscheinlich schon skeptisch werden würden, wenn Sie Ihr Hund mit euphorischem Gejaule zu Bitcoin-Geturtel mit einem Chatchinesen ermuntern sollte.

Moderator Cerne will dann von Ihnen wissen, ob Sie, gerade als Mutter, auch in der Familie über solche Betrugsmaschen sprechen. Klaro, sagen Sie, inzwischen recht gefestigt in ihrer Bundesinnenministerinnenexpertenrolle, regelmäßig würden Sie auch die Freunde Ihrer Mutter vor derlei Gaunereien warnen. Und warum wollen Sie Betrugsdelikte ausgerechnet jetzt zu Ihrer Chefsache machen? »Das trifft Leute in ihrem ureigensten Umfeld, bei sich zu Hause«, sagen Sie, »das treibt mich an, schärfer dagegen vorzugehen.«

Windige Wohnungstür-Beutelschneider

Lief doch ganz gut, finden Sie anschließend, gleich sollen Sie Ihre Expertise noch in einem zweiten Gespräch untermauern, aber das besorgt Sie nun nicht mehr großartig. Sie schauen sich den nächsten Einspielfilm an, in dem eine weitere arglose Seniorin Opfer eines sogenannten Faksimile-Betrugs wird und sich von windigen Wohnungstür-Beutelschneidern lidschäftig zusammengeleimte, angeblich wertvolle Schwarten mit aufgeklebten Plastikedelsteinen andrehen lassen. Die angeblich kunstfertige Kopie »eines der schönsten Messbücher des Mittelalters« soll 9999 Euro kosten. »Das sind ja 10.000 Euro«, zögert die Seniorin – und schlägt dann trotzdem zu.


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»Eine bodenlose Schweinerei«, findet Rudi Cerne, und das finden Sie auch. Sie stünden ja »für die Sicherheit in Deutschland«, sagt er zu Ihnen und will wissen, ob der Kampf gegen Betrüger denn nicht aussichtslos sei, sobald die Verbrecher aus dem Ausland operierten. »Kriminalitätsbekämpfung ist nie aussichtslos«, improvisieren Sie, weil man dabei ja mit den entsprechenden Ländern zusammenarbeiten könne. Sie sind inzwischen richtig drin in Ihrer Rolle und zucken nicht mal mit der Wimper, als Cerne Sie schließlich fragt, wie Sie nun konkret gegen Betrüger vorgehen wollten.

»Ich glaube, was wichtig ist, ist die Behörden entsprechend auszustatten, dass sie auch entsprechend arbeiten können«, sagen Sie und erlauben sich zu Ihrem eigenen Amüsement einen alten Dampfrhetorikklassiker, nämlich die Markwortsche Trinär-Tirade: »Aber was das Allerwichtigste ist, ist die Präventionsarbeit. Wir müssen aufklären, aufklären, aufklären.«

Dann ist es fast geschafft. Sie weisen noch auf die vielen ehrenamtlichen Beraterinnen und Berater hin, die gerade ältere Menschen unterstützten, dann schauen Sie sich einen letzten Film zum Thema Finanzierungbetrug an, in dem natürlich ein falscher Scheich auftaucht. Immerhin gibt sich das ausführlich geschröpfte Opfer am Ende versöhnlich und blickt sanft auf die Weidefläche, auf der er nun also doch keinen Windpark errichten wird. »Es hat auch sein Gutes«, sagt er, »die Ziegen und die Schafe können jetzt bleiben«, und mit diesem positiven Vibe lassen Sie sich vom Fahrdienst wieder nach Hause bringen.