„After the Hunt“: Julia Roberts in einer irgendwas anderen #MeToo-Geschichte

Gewollt anti-woke? Der italienische Regisseur Luca Guadagnino stellt in seinem neuen Film „After the Hunt“ Julia Roberts als Philosophie-Professorin ins Zentrum einer Campus-Geschichte um die Fallstricke der Identitätspolitik


Alma (Julia Roberts) weiß nicht, ob sie Hank (Andrew Garfield) glauben kann

Foto: Imago / Landmark Media


Für einen Film mit Julia Roberts in der Hauptrolle erscheint der Start von After the Hunt merkwürdig verhalten. Was nicht nur daran liegt, dass das Konzept der großen Stars, deren Name allein schon Besucher in die Kinos lockt, spätestens seit Corona in die Krise geraten ist. Luca Guadagninos Film, der Ende August auf dem Filmfestival von Venedig Premiere feierte, wurde bislang allerorten mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen, weil er seine Geschichte um eine #MeToo-Anklage in mehr als nur einer Hinsicht gegen den Strich erzählt. In nicht wenigen Rezensionen wurde Guadagino der Vorwurf gemacht, hier den seit der Wahl von Donald Trump so zeitgeistigen Anti-Wokeness-Trend zu bedienen und sogar Teil des Backlashes zu sein. Aber ganz so einfach kann man es sich mit diesem Film nicht machen.

After The Hunt erzählt eine „Campus Story“, in der Julia Roberts eine Philosophie-Professorin verkörpert, die in den Mittelpunkt eines Skandals um Missbrauch und Identitätspolitik gerät. Dass Guadagnino schon in den Auftakt-Credits eine Schrifttype zitiert – die Namen in weißer Windsor Light-Schrift auf schwarzem Hintergrund alphabetisch aufgelistet –, die Kenner als Signet von Woody Allen ausmachen können, dient schon als erster Hinweis darauf, dass der italienische Regisseur nicht ganz das politisch-korrekte Muster nachbuchstabieren möchte.

Luca Guadagninos Figuren sind alle etwas unsympathisch

Überhaupt ist Guadagnino einer jener europäischen Regisseure, denen man auch in englischsprachigen Filmen noch den „european touch“ anmerkt. In After The Hunt spürt man ihn unter anderem daran, dass keine der Figuren, die da zu Beginn auf einer Fakultäts-Party im Hause der Professorin Alma Imhoff (Roberts) miteinander diskutieren, besonders sympathisch ist. Almas Kollege Hank (Andrew Garfield) ist ein gockelhafter Angeber, ihre Lieblingsstudentin Maggie (Ayo Edebiri) wirkt wie eine verbissene Streberin und der treuherzige Ehemann Frederik (Michael Stuhlbarg) erscheint gegenüber seiner intellektuellen Gattin ein bisschen unterbelichtet.

Gleichzeitig ist da in allen Beziehungen eine doppelte Spannung in Bezug auf Alma zu spüren: Mit dem jüngeren Hank verbindet sie ein bisschen mehr als nur ein Flirt; er ist aber auch ihr Konkurrent darum, „Tenure“ zu erlangen, die begehrte akademische Festanstellung. Studentin Maggie verehrt ihre Mentorin Alma sichtlich, aber in ihrer Kleidung und Attitüde mehren sich die Hinweise, dass sie sie vielleicht nur puppenhaft nachahmen will. Gatte Frederik hat ein schärferes Auge für diese Verhältnisse als Alma selbst, was einerseits die Toleranz ihrer Ehe unterstreicht, aber auch einen möglichen Bruchpunkt andeutet. Hank und Maggie verlassen schließlich gemeinsam Almas Party. Am nächsten Tag sitzt eine bibbernde Maggie in Almas Hauseingang und beschuldigt Hank der sexuellen Übergriffigkeit. Sie verweigert die detailliertere Beschreibung aber sofort mit einem defensiven „Was willst du denn noch wissen!“

#MeToo: Jeder weiß, wie er sich zu verhalten hat

Guadagnino porträtiert hier eine Welt, in der #MeToo ein vertrautes Drehbuch ist, bei dem einerseits alle wissen, wie sie sich eigentlich zu verhalten haben, während sie gleichzeitig unterschwellig Ressentiments gegen das eingespielte Muster empfinden. Dass die Figur des „Opfers“ in After the Hunt eine junge schwarze, queere Studentin ist, die ihre Umwelt mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert, aber gleichzeitig aus sehr privilegierten Verhältnissen kommt – ihre Eltern seien „Mega-Förderer“ der Universität, heißt es an einer Stelle –, ist als Gegenklischee vielleicht etwas zu deutlich. Dass Maggie bald vom Vorwurf heimgesucht wird, ihrerseits Plagiatorin zu sein, macht es aber doch wieder interessant. Andrew Garfield als Hank enthüllt immer deutlicher die unsympathischen Seiten seiner Figur, und das obwohl man ihn zunehmend für unschuldig hält.

Als wären das nicht schon genug Irritationen, die die Identifikation mit der „richtigen Seite“ erschweren, enthüllt der Film als weiteres verstörendes Element nach und nach Details aus Almas Vergangenheit. Sie steht zwischen den beiden Fronten von Opfer und Täter nicht nur, weil sie die Beteiligten kennt – und beiden nicht ganz glaubt. Sie hat, das ist der Clou des Films, als junge Frau eine Erfahrung gemacht, die sie befangen sein lässt in diesem Fall, und zwar anders als man es zunächst erwartet.

Julia Roberts in einer Nina-Hoss-Rolle

Guadagnino erzählt diese Geschichte mit fast demonstrativer Konventionalität, setzt aber gekonnt Ellipsen ein, die den Fluss des Gewohnten irritieren. Das Bild des amerikanischen Campus-Lebens, das er dabei zeichnet, bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Idylle und Karikatur. Ein reicher Hintergrund an exzellent besetzten Nebenfiguren, die in Kurzauftritten sehr lebendige Figurenporträts abliefern – Chloë Sevigny als Ärztin und Therapeutin ist geradezu großartig unscheinbar –, sorgt für eine Vielfalt an Tönen und manche Überraschung.

Die größte Überraschung aber ist Roberts selbst. Sie darf hier einmal eine Rolle spielen, wie man sie sonst von Tilda Swinton oder Nina Hoss kennt: eine erwachsene Frau, die zugleich kompliziert und ein bisschen kalt ist. Auch wenn man ihr die Intellektualität einer Philosophie-Professorin nicht ganz abnimmt, gelingt Roberts ein eindrückliches Porträt von taktischer Professionalität und Disziplin. Ihre Alma neigt zum selbstzerstörerischen Handeln, ist dabei aber ohne Selbstmitleid. Was von After the Hunt letzten Endes hängen bleibt, ist vor allem ihr Auftritt – und weniger die deklarierte Absicht, der Diskussion um #Metoo etwas Neues hinzuzufügen.

After the Hunt Luca Guadagnino USA/Italien 2025, 139 Min.