AfD im Umfrage-Hoch : Schrei nach Führung

Die AfD erzielt in Umfragen Rekordergebnisse, das Vertrauen in die Ampel schwindet. Dabei zeigen Befragungen immer klarer, was die Wähler vom Bundeskanzler erwarten.

AfD im Umfrage-Hoch : Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Timo Chrupalla führen ihre Partei in neue Höhen.
Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Timo Chrupalla führen ihre Partei in neue Höhen.

Schrei nach Führung – Seite 1

Die AfD ist stärker denn je. Im aktuellen Deutschlandtrend der ARD kommt sie auf 18 Prozent, damit hat sie ihren historischen Höchstwert von September 2018 wieder erreicht. Forsa sieht sie bei 17 Prozent. Ein Rekord: Bei diesem Institut war sie vorher nie stärker als 16 Prozent. Der Aufstieg vollzieht sich bundesweit, auch wenn Deutschland in dieser Hinsicht ein gespaltenes Land bleibt: Im Osten ist die AfD in der Nähe der 30-Prozent-Marke, in Sachsen und Thüringen laut aktueller Umfragen stärkste Partei. In den westlichen Bundesländern kommt sie nur auf knapp die Hälfte, wächst dort aber ebenfalls. 

Die Rechtspopulisten liegen nun gleichauf mit der Kanzlerpartei, das gab es noch nie. Zwar ist die Union noch deutlich stärker, doch sie stagniert und kann von der Enttäuschung über die Ampel-Parteien derzeit nicht profitieren. All das hängt miteinander zusammen.

Zunächst zur AfD selbst: Ihr derzeitiger Aufstieg währt noch nicht lange. Während der ersten Monate der Ampel-Regierung im Bund hing sie in den Umfragen bei ihrem Ergebnis der Bundestagswahl 2021 fest: bei gut 10 Prozent. Zu Beginn des Kriegs in der Ukraine ging es sogar bergab. Die Landtagswahlen 2022 floppten: In Schleswig-Holstein flog sie aus dem Parlament, in NRW schaffte sie es gerade so rein. Erst seit dem Spätsommer 2022 geht es bergauf. Es war die Zeit, als die Energiekrise das Topthema war, als die Preise spürbar geklettert waren und die Regierung wochenlang über die Gasumlage stritt, die sie letztlich doch nicht umsetzte. 

Ton der Verunsicherung

AfD-Anhänger zeichnen sich seit jeher durch einen großen Pessimismus aus. Sie bewerten die Lage und die Aussichten der Bundesrepublik deutlich schlechter als alle anderen. Derzeit nehmen 96 Prozent der AfD-Anhänger die wirtschaftliche Lage im Land als schlecht wahr (Zum Vergleich: Bei den Grünen sieht mehr als die Hälfte die Lage positiv). Aber in Zeiten von Inflation und Kriegsangst sind diese Sorgen insgesamt in der Bevölkerung gewachsen. Teile einer zunehmend verunsicherten Gesellschaft haben also ihre Hemmungen zu einer Partei abgebaut, die in den letzten Jahren den Ton der Verunsicherung immer wieder angestimmt hat. 

Hinzu kommt das Thema Migration und Flüchtlinge, das seit jeher einer der wichtigsten Gründe ihrer Anhänger war, um AfD zu wählen. Auch auf ihrem bisherigen Höhepunkt, im September 2018, hatte das Thema Konjunktur: Damals stritt die Kanzlerpartei Union erbittert um den richtigen Umgang mit Flüchtlingen, CDU und CSU standen kurz vor der Aufkündigung ihrer Fraktionsgemeinschaft.

Nun hat das Thema wieder einen großen Stellenwert in der öffentlichen Debatte. Die Zahl der Schutzsuchenden ist gestiegen. Kommunen, Länder und Bund streiten über Kosten für Unterbringung und Versorgung. Derzeit nannten 65 Prozent der AfD-Anhänger die Migration als wichtigsten Grund für ihre Wahlentscheidung.

Entscheidungen, die Mehrheit nicht gefallen

Gestiegene wirtschaftliche Sorgen und die Präsenz der Flüchtlingsfrage: Mit dieser Korrelation erklären Wahlforscher den Aufschwung der AfD. Die teilweise vom Verfassungsschutz beobachtete Partei hat schließlich weder ein besonders beliebtes Spitzenpersonal, noch gilt sie als kompetent. Ihre stärkste Antriebskraft ist das gestiegene Bedürfnis ihrer (männlich geprägten) Wählerschaft, Protest zu wählen. Das zeigte auch die Bremen-Wahl, bei der die AfD nach internen Streitigkeiten nicht antreten durfte und die sogenannten Bürger in Wut fast nahtlos ihren Platz einnahmen.  

Hinzu kommt, dass die AfD sich auf Kosten einer Bundesregierung profilieren kann, deren Ansehen ebenfalls einen Rekordwert erreicht hat, allerdings im Negativen. Alle drei Regierungsparteien verlieren an Zustimmung, SPD und FDP liegen inzwischen deutlich unter den Werten, die sie zur Bundestagswahl 2021 erzielt haben. Die Grünen, die zum Ampel-Start äußerst populär waren und in Umfragen auf 25 Prozent kamen, sind inzwischen wieder bei etwa 15 Prozent gelandet. 

Dieser Einbruch liegt zum einen an den Entscheidungen, die die Ampel getroffen hat. Sie mögen klimapolitisch vielleicht geboten sein, aber die Mehrheit der Bevölkerung lehnt sie laut Umfragen ab: Etwa die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke oder das EU-weite Verbrenner-Aus ab 2035 oder aktuell das so umstrittene Gebäudeenergiegesetz.

Die Bürger wollen Klarheit von ihrem Kanzler

Die FDP, die als erste Ampel-Partei in den Umfragen abgefallen war, hat sich inzwischen mehrfach an dieser abweichenden Mehrheitsmeinung orientiert. In der aktuellen Debatte um das Heizungsgesetz wird sie (laut Deutschlandtrend) als die überzeugendste Ampel-Partei wahrgenommen. Solche Erhebungen bestätigen die FDP in ihrem Kurs, den sie seit Herbst fährt, alles, was von Rot-Grün kommt, erst mal demonstrativ zu hinterfragen.

Das allerdings schadet dem Ansehen der Regierung insgesamt. Denn auch die Zufriedenheit mit der Regierung hat einen Tiefstwert erreicht. Nur noch 20 Prozent der Deutschen sind laut ARD-Deutschlandtrend mit der Arbeit zufrieden. (Auf einen so schlechten Wert kam die Große Koalition unter Angela Merkel nie, nur Schwarz-Gelb schnitt im Sommer 2010 noch etwas schlechter ab.) Der anhaltende Streit untereinander (Heizung, E-Fuels, Haushalt) oder mit den Bundesländern (Flüchtlinge, Kliniken) lässt die Regierung nicht souverän erscheinen.

Das schlechte Image liegt zum anderen nämlich auch daran, dass die Entscheidungsfindung der Koalitionspartner so lange dauert. Der Dauerzoff nervt mehr als 80 Prozent der Befragten. Und die Schuld daran wird durchaus beim Regierungschef gesucht. Ganze 84 Prozent sind der Meinung, dass Olaf Scholz klarer die Richtung seiner Regierung vorgeben müsse.

Das ist ein exorbitant hoher Wert, der den Bundeskanzler alarmieren muss: Er gleicht einem Schrei nach politischer Führung, die Scholz ja bekanntlich ausdrücklich versprochen hatte. Die Bürger erwarten Klarheit, gerade von ihrem Bundeskanzler. Sie wollen, dass Konflikte geklärt werden und nicht wochen- bis monatelang in der Schwebe hängen.

Merz verliert das Umfrage-Duell mit Scholz

Allerdings ist Scholz noch immer der Politiker mit den dritthöchsten Zufriedenheitswerten in Deutschland. Vor ihm liegen nur: Boris Pistorius und Annalena Baerbock, beide ebenfalls Ampel-Minister. Die AfD-Chefin Alice Weidel schneidet da sehr, sehr viel schlechter ab.

Ebenso wie CDU-Parteichef Friedrich Merz: Dessen persönliche Kurve weist ebenfalls leicht nach unten. Das direkte Umfrage-Duell mit Scholz verliert er weiterhin eindeutig. Auch profitiert die Union keinesfalls vom schlechten Ansehen der Ampel. In den neuesten Umfragen stagniert sie bei etwa 30 Prozent oder verliert sogar leicht. Sie wird nicht als viel kompetenter wahrgenommen. Auf die Frage, ob eine unionsgeführte Bundesregierung es besser machen würde, sagt die Mehrheit: nein.

Merz war mit dem Anspruch angetreten, die CDU in frühere Volksparteidimensionen zurückzuführen. Die Zustimmungswerte der AfD wollte er halbieren. Beide Ziele sind bislang deutlich verfehlt.

Dumpfe Oppositionspolitik

Möglicherweise liegt das auch am eingeschlagenen Kurs der Union: Ernsthafte Politikkonzepte liefert sie kaum. Oft kommt von ihr eher dumpfe Oppositionspolitik.  Zuletzt warfen sie Wirtschaftsminister Robert Habeck vor, die „Energie-Stasi“ bei seiner Wärmewende einsetzen zu wollen. Die CSU postete unter Habecks Gesicht: „Nein zu staatlicher Heizungsspionage.“ Eine Wortwahl, die selbst manchen Christdemokraten peinlich ist. Besonders die CSU fällt immer wieder durch ihren schrillen Ton auf, wenige Monate vor der Landtagswahl in Bayern – und bestimmt so das christdemokratische Gesamtbild.

Auch in anderen Debatten wirkt es zuweilen, als habe sie Themen und Sprache teilweise leichtfertig von der AfD übernommen. So warnte Merz etwa vor der woken Cancel Culture als „größter Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland“. Die CSU betont mit Stolz, den „Kampf gegen Wokeness“ führen zu wollen. Solche Sätze kamen früher allenfalls von der AfD, nun werden sie durch die Union im politischen Diskurs mainstreamtauglich gemacht. Auch das gibt der AfD Auftrieb.