Acht Tote nach Schüssen in Hamburg – Polizei spricht von Amoktat

Die Ermittlungen der Kriminalpolizei laufen seit dem späten Abend auf Hochtouren. In der Nacht und am Morgen sicherte die Polizei weiter Spuren am Tatort an der Straße Deelböge im Stadtteil Alsterdorf.

Polizei: Acht Menschen getötet
Nach Polizeiangaben schoss am Donnerstagabend gegen 21 Uhr ein Täter auf Personen in einem Gebäude. Acht Menschen wurden laut Polizei tödlich verletzt. Unter den Toten sei „offenbar auch der mutmaßliche Täter“, wie die Polizei Hamburg am Freitagmorgen auf ihrer Internetseite mitteilte. „Weitere Menschen wurden durch die Tat zum Teil schwer verletzt“, hieß es weiter.

Noch ist unklar, wie viele Menschen zum Tatzeitpunkt insgesamt in dem Gebäude waren und ob sie einen Gottesdienst oder eine Gemeindeversammlung abhielten. Laut der Internetseite der Zeugen Jehovas war für Donnerstagabend eine von zwei wöchentlichen Zusammenkünften geplant.

Laut „Spiegel“ soll es sich bei dem Täter um ein früheres Mitglied der Glaubensgemeinschaft handeln, das aus der Gemeinde ausgeschlossen worden war – das ist aber noch nicht bestätigt. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen war der Mann den Behörden nicht als Extremist bekannt. Sein Name tauchte aber in den Datenbanken auf, weil er eine Erlaubnis zum Tragen einer Waffe beantragt hatte.

Hinweisportal für Zeugen eingerichtet
Die Hintergründe der Bluttat sind noch unklar. Es gebe keine gesicherten Informationen zu dem Tatmotiv, teilte die Polizei mit und bat darum, keine Gerüchte zu streuen. Zeugen werden gebeten, sich auf dem Hinweisportal der Hamburger Polizei zu melden. Dort können Fotos und Videos zur Tat oder relevanten Ereignissen in diesem Zusammenhang hochgeladen werden.

Für Angehörige und Betroffene ist außerdem eine telefonische Anlaufstelle unter den Nummern (040) 4286-24393, -24386 und -24323 erreichbar. Diese Nummern sollen nicht für Hinweise genutzt werden.

Tatort in dreistöckigem Gebäude der Zeugen Jehovas
Bei dem Tatort handelt es sich um ein dreistöckiges Gewerbegebäude, das an einer breiten Straße und neben einem Malerbetrieb sowie einer Baustelle mit drei großen Kränen liegt. Nach dem Eintreffen der Beamten am Tatort sei noch ein Schuss gefallen, berichtete die Polizei. Später habe man in einem oberen Stockwerk des Gebäudes eine leblose Person gefunden. Man gehe davon aus, dass es sich dabei um den Täter handele. Es gebe keinen Hinweis auf einen anderen oder einen flüchtigen Täter.

Im Einsatz war auch die sogenannte Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE). Dabei handelt es sich um ein von der Polizei Hamburg selbst entwickeltes Einsatzkräfteformat. Die Einheit soll bei Einsatzlagen, die eine erhöhte Gefährdung für die eingesetzten Beamtinnen und Beamten erwarten lassen, Unterstützung leisten und die Zeitlücke bis zum Eintreffen von Spezialeinsatzkommandos (SEK) schließen.

Polizeisprecher Holger Vehren sagte, die Polizisten selbst hätten bei dem Einsatz keinen Schuss abgegeben. Nach der Sicherung des Tatorts betraten Entschärfer in schwerer Schutzausrüstung das Gebäude. Laut Polizei handelte es sich bei diesem Vorgehen um Routine.

Warnung vor „lebensbedrohlicher Lage“ aufgehoben

Anwohnende waren am Donnerstagabend gegen 22.30 Uhr per Smartphone vor einer „lebensbedrohlichen Lage“ gewarnt, Straßen in der Nähe des Tatorts abgesperrt worden. Die Polizei bat Verkehrsteilnehmer, den abgesperrten Bereich weiträumig zu umfahren. Um kurz nach drei Uhr wurde über die Warn-Apps NINA und Katwarn schließlich Entwarnung gegeben.

Tschentscher, Scholz und Faeser äußern sich bestürzt
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich am späten Abend bestürzt. „Die Meldungen aus Alsterdorf / Groß Borstel sind erschütternd“, schrieb Tschentscher bei Twitter. „Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die tödlichen Schüsse als brutale Gewalttat. „Schlimme Nachrichten aus #Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen“, postete er am Morgen über den Regierungsaccount auf Twitter. „Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben.“

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) reagierte „erschüttert“ auf die Meldung von der Tat in Hamburg. „Meine Gedanken sind in dieser schweren Stunde bei den Opfern und ihren Angehörigen, bei den Gemeindemitgliedern und auch bei den Einsatzkräften“, sagte Faeser in der Nacht der Deutschen Presse-Agentur. „Die Hintergründe werden mit Hochdruck ermittelt.“

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) dankte den Einsatzkräften: „Mein ausdrücklicher Dank geht an die Polizei Hamburg, die sehr schnell vor Ort war und die diese extrem herausfordernde Lage hochprofessionell und umsichtig bewältigt hat.“ Ebenso dankte er der Feuerwehr für deren schnellen und beherzten Einsatz.

Zeugen Jehovas „tief betroffen“
Die Zeugen Jehovas zeigten sich nach den tödlichen Schüssen in einem Gebäude der Gemeinde in Hamburg „tief betroffen“. „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten“, hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.

Christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung
Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung, die sich strengen Vorschriften unterwerfen soll. Die Anhänger glauben an Jehova als „allmächtigen Gott und Schöpfer“. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die „Weltzentrale“ ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.

NDR