Absturz von US-Drohne: Nicht der erste gefährliche Zwischenfall

Der Vorfall über dem Schwarzen Meer am Dienstag war der erste, der zum Absturz einer westlichen Drohne führte, in diesem Fall eine amerikanische „Reaper“. Es war aber beileibe nicht das erste gefährliche Luftmanöver, das russische Piloten in der Region geflogen sind. Nicht immer wird das bekannt, manche NATO-Staaten hängen es nicht an die große Glocke. Andere, wie die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich, machen dagegen jeden Vorfall öffentlich. Allein daraus wird klar, dass dieses Gebiet von strategischer Bedeutung für westliche Aufklärung ist – und Russland immer wieder versucht, Flüge zu stören.  

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

So unterrichtete der britische Verteidigungsminister Ben Wallace Mitte Oktober vorigen Jahres das Unterhaus über ein gefährliches Abfangmanöver, das sich am 29. September über dem Schwarzen Meer ereignet hatte. Wie am Dienstag waren zwei russische Jagdflugzeuge des Typs SU-27 aufgestiegen um ein britisches Aufklärungsflugzeug des Typs RC-135W Rivet Joint zu „beschatten“. Das ist die modernste, ab 2013 eingeführte Variante eines Aufklärungsflugzeugs aus den 1960er Jahren. Ein russischer Jäger feuerte dann plötzlich eine Rakete ab, was Wallace als „potentiell gefährlichen Einsatz“ charakterisierte. Moskau habe eine „Funktionsstörung“ gemeldet, was den eigenen Erkenntnissen entspreche, sagte der Minister. 

Freilich wies er bei der Gelegenheit darauf hin, dass russische Flugzeuge in den vergangenen Jahren schon öfter „sehr, sehr dicht“ an britisches und amerikanisches Gerät herangeflogen seien. In einem Fall habe sich ein Kampfflugzeug einem NATO-Flugzeug bis auf fünf Meter genähert. „Sie wissen, dass das leichtsinnig und unnötig ist und das Leben vieler Menschen gefährdet“, sagte Wallace den Abgeordneten.

So ähnlich äußerte sich auch das amerikanische Kommando für Europa am Dienstag: Die russischen Jäger hätten sich „leichtsinnig, umwelttechnisch unverantwortlich und unprofessionell“ verhalten, hieß es in der Mitteilung, mit der die Streitkräfte den Verlust ihrer Drohne bekannt machten. Der etwas kuriose Verweis auf die Umweltbelastung bezog sich darauf, dass die Jagdflugzeuge zuvor Kerosin auf die Drohne abgelassen hatten. 

Bei der NATO ist zu hören, dass es pro Jahr bis zu zehn gefährliche Annäherungen russischer Flugzeuge an eigene Maschinen gebe. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass Kampfflugzeuge dicht heranfliegen und dann ihren Nachbrenner einschalten, was den Schub des Triebwerks erhöht und so zu Turbulenzen führt. Über den jüngsten Vorfall erfuhren die Verbündeten nicht erst aus den Medien. General Christopher Cavoli, der Oberkommandierende der NATO und der US-Streitkräfte in Europa, informierte am Dienstagnachmittag persönlich den Nordatlantikrat, wie die F.A.Z. erfuhr. 

Innenansicht eines Awacs-Flugzeugs der NATO : Bild: REUTERS

Das Bündnis hat schon seit 2014, als Russland die Krim annektierte, seine Überwachung des Luftraums über dem Schwarzen Meer ausgedehnt. Lange Zeit besaß es dafür an eigenen Fähigkeiten nur die 14 in Geilenkirchen stationierten Awacs-Flugzeuge, die man leicht am Radar-Pilz auf ihrem Rücken erkennt. Mitte Januar wurden einige von ihnen nach Bukarest verlegt, um „die verstärkte Präsenz der Allianz in der Region zu verstärken und die russische militärische Aktivität zu überwachen“, wie die NATO mitteilte. Die Aufklärungsflüge fänden nur über dem Territorium der Allianz statt. „Unsere Awacs-Maschinen können andere Flugzeuge in Hunderten Kilometer Entfernung erfassen, was sie zu einer Schlüsselfähigkeit bei Abschreckung und Verteidigung macht“, sagte eine Sprecherin. 

Seit Anfang 2021 verfügt die NATO auch über ein eigenes System für die Bodenüberwachung: fünf Aufklärungsdrohnen des Typs Phoenix, eine Variante des amerikanischen Global Hawk. Diese Drohnen fliegen in großer Höhe, auf 19 Kilometern, wo die Luft für die meisten Flugzeuge zu dünn wird, und das 24 Stunden am Stück. Ihre Heimatbasis ist Sigonella in Sizilien, von dort starten sie mehrmals in der Woche zu Missionen über dem Schwarzen Meer.

Ein NATO Awacs-Flieger landet im rumänischen Otopeni. : Bild: AP

Man kann ihrem Weg auf Flugzeug-Trackern im Internet folgen, weil sie stets mit eingeschaltetem Transponder unterwegs sind. Ihr Rufzeichen lautet „Magma“, bei Global Hawk der US-Luftwaffe, die ebenfalls in Sizilien stationiert sind, ist es „Forte“. Auf den Trackern sieht man, wie sie stundenlang Schlaufen fliegen, stets im internationalen Luftraum und mit gehörigem Abstand zur ukrainischen Küste. Auch die „Reaper“ soll am Dienstag etwa 120 Kilometer von der Krim entfernt gewesen sein.

Die „Phoenix“ verfügt im Rumpf über ein hochempfindliches Radar, das nach links und rechts geschwenkt werden kann und mehrere hundert Kilometer weit reicht. „Das Radar ist so gut, dass man meinen Schreibtisch noch aus zweihundert Kilometern Entfernung sehen kann“, sagte der Kommandeur der Truppe Ende 2019 der F.A.Z. Mit zunehmender Entfernung nimmt die Auflösung natürlich ab.

Grundsätzlich kann die Allianz mit ihren Fähigkeiten den Süden der Ukraine überwachen sowie, von eigenem Territorium aus, den Westen und Norden, bis weit nach Belarus hinein. Seit Kriegsbeginn geschieht das rund um die Uhr, auch mit amerikanischer und britischer Unterstützung. Für das Hauptkampfgebiet im Donbass sind die Verbündeten dagegen auf Satelliten angewiesen. 

Das Phoenix-Radar kann auch bewegliche Bodenziele erfassen, sie identifizieren und automatisch verfolgen. Auswerter am Boden können so etwa Panzer verfolgen. Die Erkenntnisse fließen in Berichte ein, die alle Verbündeten bekommen. Darüber hinaus teilen die NATO-Staaten untereinander Aufklärungsergebnisse und auf bilateraler Grundlage auch mit der Ukraine. 

Klar ist, dass Kiew auf diesem Weg auch Zieldaten bekommt. Ein Pentagon-Sprecher bestätigte im vorigen Jahr, dass Amerika dem Land Aufklärungsergebnisse zur Verfügung stelle, damit es sich besser verteidigen könne. „Wir liefern keine Aufklärung über den Aufenthaltsort militärischer Führer auf dem Schlachtfeld und beteiligen uns nicht an Entscheidungen des ukrainischen Militärs, bestimmte Ziele anzugreifen“, fügte er einschränkend hinzu. Die amerikanischen Flugzeuge und Drohnen sind nicht immer auf Flugzeug-Trackern zu sehen. Auch die „Reaper“, die am Dienstag abstürzte, hatte ihren Transponder nicht eingeschaltet.  

Source: faz.net