Abstimmung zur Schuldenobergrenze: Den Staat gerettet, die Rechten vorgeführt

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Die gute Nachricht zuerst: Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA kommende Woche zahlungsunfähig werden und die Märkte weltweit ins Rutschen geraten, ist deutlich gesunken. In der Nacht zu diesem Donnerstag stimmte das US-Repräsentantenhaus dafür, die Schuldenobergrenze der Vereinigten Staaten bis Januar 2025 auszusetzen.

Aber es gibt auch eine schlechte Nachricht: Die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls ist zwar wesentlich kleiner, aber nicht gleich null. Nach dem Repräsentantenhaus muss noch der Senat zustimmen. Und auch dort gibt es einige Republikaner, die versuchen könnten, die Anhebung der Obergrenze so weit zu verzögern, dass das Gesetz den Schreibtisch von Präsident Joe Biden nicht mehr rechtzeitig zum Stichtag am 5. Juni erreicht. Die möglichen Folgen: steigende Arbeitslosenzahlen, eine Wirtschaftskrise, existenzielle Nöte für Millionen Menschen in den USA und anderswo.

Das kann niemand riskieren wollen, sollte man meinen. Und doch liegen hinter den USA dramatische Wochen, in denen genau das der Fall war: Die Republikaner versuchten, sich ihre Zustimmung zu einer Anhebung der Schuldenobergrenze möglichst viel kosten zu lassen im Kampf gegen eine aus ihrer Sicht verantwortungslose Ausgabenpolitik der Demokraten (obwohl zur Wahrheit gehört, dass diese Politik unter republikanischen Präsidenten nicht anders war). Der Preis, den die Biden-Regierung nun in Form von Kürzungen bei ebenjenen Ausgaben in Milliardenumfang zahlt, ist vielen Kritikern immer noch zu niedrig: 71 republikanische Abgeordnete stimmten am späten Mittwochabend gegen den Gesetzentwurf.

150 versprochen, 149 wurden es

Dennoch waren es weniger als erwartet. Das dürfte vor allem einen freuen: Kevin McCarthy sah nach der Abstimmung deutlich erleichtert aus. Nicht, weil er sich solche Sorgen um den drohenden Zahlungsausfall gemacht hätte; die Zeitbombe, die das Repräsentantenhaus nun weitgehend entschärft hat, hatte der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses schließlich höchstpersönlich ins Weiße Haus getragen, um Joe Biden zu Zugeständnissen zu zwingen. Sondern weil er seine Fraktion dann doch etwas mehr unter Kontrolle zu haben schien, als es zuletzt wirkte. 150 republikanische Ja-Stimmen hatte er versprochen, 149 waren es am Ende – das ist kein schlechtes Ergebnis für McCarthy, der seinerzeit nur ins Amt kam, indem er sich Forderungen vor allem aus dem rechten Flügel nahezu komplett auslieferte.

Und doch waren es am Ende die Stimmen der Demokraten, die den Ausschlag gaben. Von ihnen stimmten 165 dafür, mehr also als bei den Republikanern – obwohl es deretwegen ja überhaupt diesen Gesetzentwurf gab und nicht einfach, wie Biden wiederholt gefordert hatte, eine erneute Anhebung der Schuldenobergrenze ohne große Bedingungen. Sie seien vom politischen Gegner vorgeführt worden, toben jetzt besonders Vertreter der extrem rechten Gruppe in der Fraktion der Republikaner, dem Freedom Caucus. Das Ganze sei ein „Witz“, twittert etwa der Abgeordnete Eli Crane aus Arizona und beklagt, es gebe eine „Einheitspartei“ aus Demokraten und Republikanern.

In der Tat steckt in dem Ganzen eine gewisse Demütigung für die Rechten. Zwar ist ihre Strategie grundsätzlich aufgegangen; sie erpressten McCarthy, der im Januar dank ihrer Stimmen ins Amt kam und im Gegenzug versprechen musste, das Weiße Haus unter anderem bei der Schuldenobergrenze maximal unter Druck zu setzen; McCarthy wiederum erpresste Biden. Der hatte Verhandlungen monatelang ausgeschlossen, bis er schließlich einsehen musste, dass sich die Sache nicht aussitzen ließ. Aber die Eskalation, das Chaos, auf das der rechte Flügel mutmaßlich gehofft hatte, blieb aus, weil Biden und McCarthy einen Kompromiss fanden, der ist, wie Kompromisse eben sind: Niemand ist glücklich, beide Seiten müssen Abstriche machen.

Die Opposition saß nicht nur ganz rechts, sondern auch links

In diesem Fall ist das die Aussetzung einer Obergrenze für die Staatsverschuldung bis Januar 2025 – etwas, das mehrere rechte Republikaner in Wahlkampf noch kategorisch ausgeschlossen hatten. Die Demokraten wiederum müssen damit leben, dass es zukünftig verschärfte Auflagen für Empfänger bestimmter Sozialleistungen geben soll sowie deutlich weniger Geld als geplant für die Steuerfahndungsbehörde IRS; auch die Moratorien für die Rückzahlung von Studiendarlehen, für die Biden sich besonders eingesetzt hatte, sollen ein Ende haben.

Tatsächlich scheinen die Republikaner ziemliche Einbußen gegenüber ihren ursprünglichen Forderungen hingenommen zu haben. Mehr noch: Laut Schätzungen des Congressional Budget Office, einer unabhängigen Behörde, die im Kongress angesiedelt ist, könnte sich die Zahl der Personen, die Anspruch auf Lebensmittelmarken haben könnten, durch den Deal sogar noch vergrößern. Nicht nur würden zu wenig Ausgaben gekürzt, „wir weiten damit sogar staatliche Wohlfahrtsprogramme aus“, begründet die republikanische Abgeordnete Nancy Mace ihre Nein-Stime.

Andere Republikaner wie Dan Bishop aus North Carolina sehen die Schuld dafür ganz klar bei einem: „Ich habe die Lügen satt, ich habe den fehlenden Mut satt, die Feigheit“, sagte Bishop schon am Tag vor der Abstimmung über McCarthy. Der habe nicht transparent genug verhandelt, der Deal sei schlecht, die Partei brüskiert – darin stimmen Bishop viele Vertreter der extremen Rechten in der Fraktion zu. Und dass nun so viele Demokraten dafür votierten, werten sie als Beweis, dass der Kompromiss für deren Partei ein besserer Deal sei als für ihre eigene.

Sie ließen McCarthy zappeln

Dabei kann kaum die Rede davon sein, dass die Demokraten groß begeistert wären von dem Gesetz, das das Repräsentantenhaus nun Richtung Senat verlässt. Nach dem Votum gab es Applaus und Jubel hörbar nur auf republikanischer Seite – und zwar Richtung McCarthy, wenn auch längst nicht von allen Mitgliedern seiner Fraktion. Bei den Demokraten blieb die Stimmung eher pragmatisch-verhalten. Ihren Triumph drückten sie anders aus: Während der Abstimmung hielten viele von ihnen sich zunächst zurück. McCarthy schien das nervös zu machen, er tigerte in der dritten Reihe hin und her, spielte mit der Abdeckung des Redepults. Zwischendrin sah man ihn die Fäuste ballen, während er auf den Bildschirm starrte, der zunächst ungefähr gleich viel grüne und rote Stimmen anzeigte.

Erst, als nur noch wenige Minuten übrig bleiben, blinkte plötzlich überall ein grünes Y für yes auf – von Demokraten, die sich offenbar extra Zeit gelassen hatten und ihrerseits die andere Seite zappeln ließen bis ganz zum Schluss. Schon am Nachmittag, als es um eine Änderung der Geschäftsordnung gegangen war, damit die Abstimmung über die Schuldenobergrenze überhaupt stattfinden konnte, hatten die Demokraten ein ähnlich dramaturgisch zugespitztes Manöver vollführt. Damit waren es zwei Abstimmungen binnen eines Tages, die McCarthy angestrengt hatte, aber nur durch die Stimmen der Gegner bestand.

Die Opposition saß bei dieser Abstimmung allerdings nicht nur ganz rechts, sondern auch links. Zu den 71 Republikanern gesellten sich 46 Nein-Stimmen von demokratischen Abgeordneten. Darunter die prominente Linke Alexandria Ocasio-Cortez sowie Pramila Jayapal, die Vorsitzende des Congressional Progressive Caucus, in dem sich die linken Demokraten im Kongress organisieren. Diese Gegenbewegung brachte interessante Bilder mit sich: Katie Porter, linke Demokratin aus Kalifornien und Gegnerin des Deals, saß bei der Abstimmung sichtbar vergnügt drüben bei den Republikanern, von denen einige sie ebenso herzlich zu empfangen schienen.

Auch Bernie Sanders will im Senat dagegenstimmen. Die Kritik der Progressiven: Der von Biden und McCarthy ausgehandelte Kompromiss gehe zu sehr zulasten von Familien und People of Color und zu wenig zulasten der Reichen. „Die Regierung hat ihr Bestes getan, aber das reicht nicht“, sagte Jayapal nach der Abstimmung. Sie und ihre Kollegen wollten Steuererhöhungen durchsetzen, was bei den Republikanern auf erwartbaren Widerstand stieß.

Beide Seiten versuchen, abzulenken

Das Gesetz sei nicht perfekt, betonten in der Debatte vor der Abstimmung Befürworter beider Seiten, aber es wende das wichtigste ab: Die Katastrophe, die eine Zahlungsunfähigkeit für das Land bedeuten würde. Beinahe genauso synchron bemühen sich beide Seiten, von der Kritik an dem Ergebnis ihrer Verhandlungen abzulenken. Ein – sein – „historischer“ Erfolg, so stellte es McCarthy dar, sei es, die Demokraten überhaupt zum Verhandeln gezwungen zu haben. Nur hat die extreme Rechte in seiner Partei dafür wenig Sinn. Ihr ist einzig daran gelegen, Biden zuzusetzen, und nicht daran, Politik zu machen.

Biden und das Weiße Haus wiederum versuchen die Kritiker in der eigenen Partei mit dem Argument zu beschwichtigen, es hätte wesentlich schlimmer kommen und große Teile seiner Agenda abgeräumt werden können. Aber der Frust bei den Demokraten ist auch deshalb groß, weil trotz des relativen Happy Ends ein Eindruck hängenbleibt von diesen vergangenen Wochen: Der nämlich, dass Erpressung ein legitimes politisches Mittel ist.

An der Unterstützung seiner Partei für Joe Biden dürfte das nichts ändern. Für Kevin McCarthy gilt das weniger. Nicht nur droht der republikanische Senator Mike Lee, Änderungsanträge einzubringen, die die Abstimmung über das Gesetz in der zweiten Kongresskammer blockieren könnten. McCarthy könnte demnächst noch eine ganz andere Abstimmung bevorstehen – über seinen Posten. Eines der Zugeständnisse, das er für die Stimmen des extrem rechten Flügels bei seiner Wahl im Januar machte, waren vereinfachte Bedingungen für ein Misstrauensvotum. Ein einziger Antragsteller genügt seitdem, um ein solches Votum einzuberufen, und Bishop hat sich dafür schon in Position gebracht.

Im Fall der Fälle könnten es einmal mehr die Demokraten sein, die McCarthy retten. Ob er das wollen kann, ist eine andere Frage.