„Geschmackshochzeit 3“ von Lojze Wieser: Schlemmen zwischen Alpen und Adria

Der österreichische Autor Lojze Wiesers erzählt in seinem neuen Buch „Geschmackshochzeit 3“ Mythen und Legenden ausgewählter Gerichte. Dafür wurde er jetzt mit dem World Cookbook Award ausgezeichnet


Das „Carniolan Sausage Festival“

Foto: Pixsell / Imago


Alessandro Manzonis Die Brautleute ist einer der schönsten italienischen Romane des 19. Jahrhunderts. Er handelt von Renzo und Lucia, einem ikonischen Paar der Literaturgeschichte. Sie durchleben Gefangenschaft, Pestepidemie und die brutale Gewalt der spanischen Feudalherren im Mailand des 17. Jahrhunderts. Am Ende Erleichterung: Die Brautleute liegen sich den Armen, reich an Erkenntnis über die Widernisse des Lebens.

Der slowenischsprachige österreichische Autor und Verleger Lojze Wieser serviert den Lesern nun eine kulinarische Variante der „promessi sposi“. Geschmackshochzeit. Die Vermählung von Alpen und Adria lautet der Titel des in drei Sprachen – Slowenisch, Italienisch und Deutsch – verfassten Bandes. Es ist der dritte Band, in dem Ursprung und Entwicklung einer faszinierenden Berg- und Küstenküche ergründet werden. Herausgegeben wird das Buch, das weit mehr ist als ein klassisches Kochbuch, sondern Kulturgeschichte und schwärmerische Nachlese, vom Tourismusverband Klagenfurt, der offenbar weiß um das Potenzial seiner mit kulinarischen Schätzen verwöhnten Region. In den ersten beiden Bänden führte der Autor bereits in die Spitzengastronomie aus Slowenien, Friaul, Istrien und Kärnten ein. Belohnt wurde die mit Leidenschaft recherchierte Entdeckungsreise mit dem World Cookbook Award, der höchsten Auszeichnung für Kochbücher weltweit.

Lojze Wieser erzählt Mythen und Legenden ausgewählter Gerichte und versucht mit historischer Akribie eine kulinarische Wirklichkeit zu erkunden, wobei nicht selten der Mythos zur Wirklichkeit wird und vice versa. Einen Anspruch auf historische Wahrheit erhebt der Autor nicht, wohl aber auf Wahrhaftigkeit: „Wir nehmen eine Spur auf und finden Zeichen, die uns zu verschwundenen Wegen führen“, lautet der erste Satz des Buches. Die Spur führt in die Küchen herausragender Köche zwischen Slow Food und Guide Michelin. Aufgetischt wird Lamm mit Mönchsbart, Kräuternudeln und Radieschen und Lebergulasch auf Trdinka-Polenta mit Trüffelschaum.

Die Bayern müssen tapfer sein

Entdeckt wird in historischen Texten eine Poesie der Fachsprache, die im Laufe der Zeit verschwunden ist. Der Siegeszug der Technik blieb auch auf dem Gebiet der Sprache nicht aus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber gingen „Culturhistoriker“ und Geologen noch erstaunliche Allianzen ein, die sich auch fachsprachlich auswirkten. Der Diorit-Porphyrit liegt „in Gestalt erratischer Blöcke“ herum, und wird doch von findigen Geologen erkannt als „das geschätzte Mittel zur Erzeugung eines halbvergorenen, schwachgeistigen Getränkes“.

Dem Geheimnis des Kärtner Steinbiers versucht Lojze Wieser auf die Spur zu kommen und entdeckt Verwandtschaften mit der Braukunst in Litauen und Nordnorwegen. Auch in Polen wurde Steinbier gebraut. Wer sich nun aber Hopfenbier im Maßkrug auf dem Oktoberfest vorstellt, halluziniert. Steinbier war ursprünglich ein Haferbier, das nie gänzlich abklärt und deshalb aus Tonkrügen getrunken wird. Erst später wurde Hafermalz durch Gerstenmalz oder ein Gemisch beider Malzsorten ersetzt. Hopfen wurde erstmals – mia san mia – in Bayern angebaut. Der erste Hopfengarten soll in der Hallertau im Jahre 736 von kriegsgefangenen Wenden angelegt worden sein. Als Wenden wurden Slawen bezeichnet, wobei der Begriff ursprünglich zur Abgrenzung von „den Anderen“ diente. Die Braukunst selbst, möchte man hinzufügen, ist freilich noch älter. In Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris gab es bereits Bierlokale, die ihren Ruhm weiblicher Braukunst verdankten.

Den Reiz dieses Buches macht es unter anderem aus, dass Gegenwartsdebatten durch den Appetit auf Wissen, auf mehr Details und historische Erkenntnis in weite Ferne rücken. Ob es sich um ein frühes „Othering“ in Bezug auf die Wenden handelte, tritt in den Hintergrund. Selbst die Bayern müssen tapfer sein, wenn die Autoren verschiedene Regionen Europas unter dem Dach der Bierbrauer vereinen. „Jedenfalls wird seit dem 8. Jahrhundert in unserer Gegend in der ein oder anderen Weise Bier gebraut. Meist ein Hausbier, das in kürzester Zeit getrunken werden konnte und einfach in der Herstellung war“, heißt es da lakonisch. Wie überhaupt in diesem Buch der Akzent auf Versöhnung und Tradition gesetzt wird. Dem Autor schwebt eine kulinarische gesellschaftliche Utopie vor: Neue Gewohnheiten sollten tradiert werden aus der Rückbesinnung auf gewonnene Erfahrungen. Wieser erweist sich dabei als Fährtensucher, der das kulturelle Erbe unserer Vorfahren aufspürt. Dabei läuft er keineswegs Gefahr, einem Retrokult zu verfallen. Immer schwingt eine Lust an der Öffnung, an neuen kulinarisch inspirierten Grenzziehungen und -überschreitungen mit. Der Leser darf sein eigenes Süppchen kochen! Nachpfeffern erwünscht!

Die Geschmackshochzeit ist ein geglücktes Happy End für eine Gegend, die wie Manzonis Renzo und Lucia erst einmal Hindernisse überwinden musste, um vom Glück zu zehren.

Geschmackshochzeit 3. Die Vermählung von Alpen und Adria Lojze Wieser Wieser Verlag 2024, 100 S., 24,80 €