Neoklassik: Ich hasse mich dazu

Es ist meistens ein Wald, manchmal ein Berghang oder ein Strand. Das Traumszenario ist eine unwirkliche Vulkanlandschaft, am liebsten auf Island. Mitten in dieser Landschaft steht ein Klavier. Dazu eine Pianistin oder ein Pianist mit geschlossenen Augen, und unter übertriebener Anstrengung werden ein paar vertraute Arpeggios auf den weißen Tasten gespielt. „Neoklassik“ wird so was genannt, ein Genre, das vielleicht ich begründet habe. Und ich hasse mich dafür.

Als ich 2004 mein erstes Solo Piano-Album veröffentlichte, gab es noch keinen Algorithmus. Mir gefiel die konzeptuelle Idee, mein Elektro-Hipster-Publikum mit einer Platte zu überraschen, die das Ohr gleichermaßen als „Hinter-“ und „Vordergrundmusik“, genannt „autonome Musik“, genießen konnte. Als früherer Restaurantpianist hatte ich einen gewissen Respekt vor der funktionalen Verwendung von Musik, und wenn die Elektro-Hipster mein Album als Beschallung für ihre Dinnerpartys betrachten wollten, dann war mir das sehr recht. Ich vermutete, dass sie, wenn sie genauer hinhörten, hinter der Satie-esken Persiflage komplexe musikalische Sichtweisen entdecken würden. Vor allem aber befreite mich ein Klavieralbum von dem Druck, eine Radiosingle produzieren zu müssen, um erfolgreich zu sein. Ich brauchte keine Rücksicht auf die Entscheider der Major-Labels zu nehmen. Ein neues goldenes Zeitalter hatte begonnen; eines, in dem das Internet die Verbindung zu meinem erwartungsvollen Publikum herstellen würde.