Supreme Court: Urteile, die dies Land verändern könnten
Traditionell geht das Oberste Gericht der USA Ende Juni in die
Sommerpause. Doch auf den Schreibtischen der Richterinnen und Richter liegen
noch ungewöhnlich viele offene Fälle, darunter mehrere mit enormer Strahlkraft.
Etwa die Hälfte der mehr als 20 offenen Fälle, schreibt die „New York Times„, habe das
„Potenzial, signifikante Teile der amerikanischen Gesellschaft umzugestalten“. Das sind die wichtigsten Fälle:
Schwangerschaftsabbrüche in Notfällen
Mitte Juni entschied der Supreme Court bereits einstimmig, den
Zugang zum Medikament Mifepriston zu schützen, das beim Großteil aller
Schwangerschaftsabbrüche in den USA zum Einsatz kommt. Eine weitere
Entscheidung zu Schwangerschaftsabbrüchen steht noch aus: Dabei geht es um die
Frage, ob Ärztinnen und Ärzte in Bundesstaaten mit strikter Gesetzgebung
Schwangerschaftsabbrüche vornehmen dürfen, wenn die Gesundheit der Schwangeren
ernsthaft gefährdet ist.
Konkret geht es in dem Fall um den Bundesstaat Idaho, der nach
der Entscheidung des Supreme Court zur Ungültigkeit des Grundsatzurteils Roe v.
Wade ein weitgehendes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen eingeführt hat.
Seit 2022 sind Abbrüche in dem Bundesstaat nur erlaubt, wenn die
Schwangerschaft durch Inzest oder Vergewaltigung zustande kam oder das Leben
der Mutter unmittelbar in Gefahr ist.
Kläger ist in diesem Fall die Bundesregierung von Joe Biden: Sie verweist auf
Bundesgesetze, die Frauen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in Notfällen
gewähren, und argumentiert, dass Bundesrecht das auf Bundesstaatsebene geltende
Recht hier außer Kraft setze. Die Richterinnen und Richter am Supreme Court
gelten in der Frage als gespalten. Die bevorstehende Entscheidung des Gerichts hätte außer auf Idaho auch Auswirkungen auf andere Bundesstaaten, die in
den vergangenen zwei Jahren das Recht auf Schwangerschaftsabbruch verschärft
haben.
Einschränkungen im Waffenrecht
Gesetze, die den Zugang zu Schusswaffen einschränken, landen
immer wieder vor dem Supreme Court. Mitte Juni hob das Gericht mit
konservativer Mehrheit ein unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump
erlassenes Verbot sogenannter Bump Stocks für Schusswaffen auf. Mit solchen
Schnellfeuerkolben können halb automatische Waffen so schnell abgefeuert werden
wie Maschinengewehre. Mit sechs zu drei Stimmen gaben die Richter einem
Waffenhändler aus Texas recht, der argumentiert hatte, die Trump-Regierung habe
Bump Stocks zu Unrecht als illegales Maschinengewehr eingestuft.
Eine weitere Entscheidung zum Waffenbesitz ist bereits gefallen: Das Oberste Gericht hat am Freitag ein Waffenverbot zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt bestätigt.
Ein Berufungsgericht hatte zuvor ein Gesetz gekippt, das Personen, gegen die
eine einstweilige Verfügung wegen häuslicher Gewalt besteht, verbietet, Waffen zu besitzen und zu tragen. Das Gericht argumentierte, dass das Gesetz gegen
den zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung verstoße. Die obersten Richterinnen
und Richter entschieden nun, das Gesetz aufrechtzuerhalten.
„Jemand, der ein Risiko im häuslichen Umfeld darstellt, ist gefährlich“, sagte
die Richterin Amy Coney Barrett bei einer Anhörung im November.
Kriminalisierung von Obdachlosigkeit
Mehr als 650.000 Menschen in den USA waren nach offiziellen
Angaben im vergangenen Jahr obdachlos – so viele wie nie seit Beginn der
Erhebungen 2007. Die Kleinstadt Grants Pass im Westküstenstaat Oregon will mit
hohen Bußgeldern gegen Obdachlosigkeit vorgehen. Gegen ein Gesetz, das wildes
Campen in der Stadt – und somit auch das Übernachten im Freien für Obdachlose –
verbietet, klagten zwei Betroffene. Ein Berufungsgericht in San Francisco gab
den Klägern recht.
Wie das Oberste Gericht in der Frage entscheidet, ist offen.
Nichtregierungsorganisationen, die sich für Obdachlose in den USA einsetzen,
argumentieren, dass das Vorgehen der Stadt Grants Pass eine grausame und
ungewöhnliche Bestrafung für Menschen darstelle, die kein Zuhause hätten –
zumal Grants Pass nicht über eine städtische Obdachlosenunterkunft verfügt.
Sollte der Supreme Court zugunsten der Stadt Grants Pass entscheiden, dürfte
sich dies auch auf andere Städte etwa in Kalifornien auswirken, in denen die
Obdachlosigkeit ebenfalls einen Höchststand erreicht hat.
Donald Trumps Immunität
Der prominenteste anhängige Fall betrifft den früheren US-Präsidenten.
Donald Trump klagt vor dem Supreme Court auf absolute Immunität vor
Strafverfolgung. Der Republikaner argumentiert, dass Ex-Präsidenten
Immunität für offizielle Handlungen während ihrer Amtszeit genössen – und
fordert, dass die Anklagepunkte gegen ihn im Zusammenhang mit dem Vorwurf der
versuchten Wahlmanipulation fallen gelassen werden.
Für den Supreme Court geht es um eine Grundsatzentscheidung: denn
die Frage präsidentieller Immunität ist in der US-Verfassung nicht explizit
geregelt. Dass die Richterinnen und Richter Trumps Forderung nach absoluter
Immunität zustimmen, halten Verfassungsrechtler für unwahrscheinlich. In der
mündlichen Verhandlung Ende April zeigten sich mehrere Richterinnen und
Richter, darunter die von Trump ernannte Konservative Amy Coney Barrett,
skeptisch hinsichtlich der Argumentation seiner Anwälte.
Sein womöglich
wichtigstes Ziel hat Trump mit der Klage vor dem Supreme Court aber bereits
erreicht: Denn egal, wie der Supreme Court in der Immunitätsfrage entscheidet –
der Prozess gegen Trump in Washington, D. C., wegen Vorwürfen rund um die
Kapitolerstürmung wird wohl nicht mehr vor der Präsidentenwahl im November
stattfinden.
Juristische Aufarbeitung des Sturms auf das Kapitol
Eine weitere Entscheidung des Supreme Court hätte unmittelbare
Auswirkungen auf die weitere Strafverfolgung Trumps. In diesem Fall geht es um
die Frage, ob die Staatsanwaltschaft sich auf ein bestimmtes Bundesgesetz zur Behinderung der Justiz
berufen darf, um juristisch gegen die Beteiligten am Sturm auf das US-Kapitol
vorzugehen.
Auch Trump ist im Zusammenhang mit seiner Rolle bei dem
Putschversuch angeklagt. Sollte der Supreme Court dem Kläger, einem früheren
Polizisten aus Pennsylvania, recht geben, könnte dies laut Rechtsexperten dazu
führen, dass rund die Hälfte der Anklagepunkte gegen Trump im Zusammenhang mit
dem Vorwurf der Verschwörung zum Umsturz fallen gelassen werden müssten. Auch
Hunderte Strafprozesse gegen Beteiligte des Sturms auf das Kapitol könnten dann
nicht wie geplant fortgesetzt werden.
Grenzen der Meinungsfreiheit
Gleich in drei anhängigen Fällen beschäftigt sich der Supreme Court mit den sozialen Medien: In zwei Fällen geht es um Mediengesetze aus Florida
und Texas, die nach dem Sturm auf das Kapitol 2021 erlassen wurden und die Möglichkeiten sozialer Netzwerke einschränken, die Sichtbarkeit von
nutzergenerierten Inhalten zu regulieren. Den in Florida und Texas regierenden
Republikanern zufolge wurden auf Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter,
dem heutigen X, vorrangig Beiträge entfernt, die von politisch rechts stehenden
Nutzerinnen und Nutzern stammten. Gegen die Mediengesetze geklagt haben
Vertretungen der Onlineplattformen.
Ähnlich gelagert ist ein dritter Fall, in dem republikanisch
geführte Bundesstaaten gegen die Bundesregierung von Präsident Biden geklagt
haben. Dabei geht es um die Frage, wie weit die Regierung bei der Bekämpfung
von Falschinformationen etwa zu Covid-19 oder der Sicherheit von Wahlen in
sozialen Medien gehen darf. Ein Berufungsgericht stellte sich in dieser Frage
bereits auf die Seite der klagenden Bundesstaaten: Demnach verstieß die
Regierung mit der Aufforderung an Onlineplattformen, bestimmte Positionierungen
zu unterbinden, gegen die Verfassung.
Traditionell geht das Oberste Gericht der USA Ende Juni in die
Sommerpause. Doch auf den Schreibtischen der Richterinnen und Richter liegen
noch ungewöhnlich viele offene Fälle, darunter mehrere mit enormer Strahlkraft.
Etwa die Hälfte der mehr als 20 offenen Fälle, schreibt die „New York Times„, habe das
„Potenzial, signifikante Teile der amerikanischen Gesellschaft umzugestalten“. Das sind die wichtigsten Fälle: