Doku „Sold City“ zum Wohnungsmarkt: Vermieter, die Freude zubereiten
In jeder größeren Runde, sei es in Berlin oder Köln, findet sich jemand, der oder die von Kündigung durch Eigenbedarf betroffen ist. Eine neue bezahlbare Wohnung zu finden ist kaum möglich. In der Politik wie im alltäglichen Smalltalk ist die Wohnraumnot Thema Nummer eins. So machen auch Leslie Franke und Herdolor Lorenz in ihrer Trilogie zum Leben im Kapitalismus (Der marktgerechte Patient, 2018) die Wohnungswirtschaft zum Thema. In zwei locker verbundenen Teilen beleuchtet Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wird erst den in Berlin und anderswo wuchernden Wahnsinn von explodierenden Bodenpreisen, Mietwucher, Renovierungspfusch und Vertreibung, um dann real existierende Gegenmodelle in globalem Rahmen heranzuziehen. Dabei geht die Reise von Deutschland bis nach Singapur, wo sich die Regierung nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft dafür entschied, in großem Stil auf Vorrat Land zu kaufen beziehungsweise zu enteignen – und sich damit einen gewaltigen Entwicklungsvorsprung in puncto geförderten, günstigen öffentlichen Wohnraums schuf, wie Stadtplaner Liu Thai Ker berichtet.
Dabei wird der Wohnraum von den einzelnen Bewohnern für 99 Jahre gepachtet, Gesetze sorgen für stattlich wucherndes Stadtgrün zwischen und auf den Häusern. Ein weiteres kursorisch vorgestelltes (und bei uns besser bekanntes) Best-Practice-Beispiel ist die Stadt Wien, wo kommunale Politik seit Anfang des 20. Jahrhunderts trotz wechselnder politischer Verhältnisse kontinuierlich den öffentlichen Baugrund der Stadt vor kapitalgetriebener Verwertung schützt.
Solchen Konzepten stehen vor allem im ersten Teil des Films die leider vertrauten Szenen von Zwangsräumungen in einem Wohnungsmarkt gegenüber, der sich mit dem Eingreifen von Investoren monopolisiert. Aber auch Bilder vom Kampf dagegen: „Die Stadt schützt das Eigentum, wer nicht geht, der wird gegangen“, heißt es bei einem theatralen Auftritt bei einer großen Demo der Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
Deutsche Wohnen enteignen
13 große Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen wären von dieser Forderung betroffen, erzählt Jenny Stupka von der Initiative. Das größte in Berlin war bis 2021 die Deutsche Wohnen mit über 100.000 Wohnungen in der Stadt, die dann von der noch größeren börsennotierten Vonovia übernommen wurde. Die wirbt im Video für ihre Aktionäre mit einer „Verlängerung der Wertschöpfungskette“: Konkret bedeutet das zum Beispiel überhöhte Rechnungen für Dienstleistungen firmeneigener Subunternehmen, die als Nebenkosten die Warmmiete aufblähen.
Andere Schauplätze sind: die Initiative „Zwangsräumung verhindern“ mit Betroffenen und Aktivisten. Ein mit gewaltsamen Methoden entmietetes ehemaliges Schwesternhaus der Charité in der nach einem Arbeiterführer benannten Habersaathstraße in Berlin-Mitte. Oder die schön über der Stadt gelegene und von Architektin Rosemary Stjernstedt in den 1960ern angelegte Londoner Siedlung Central Hill Estate, wo 1.200 Sozialwohnungen einer geplanten Luxusimmobilie weichen müssen. Oder Hamburg, wo ein gewisser Olaf Scholz am Verkauf eines denkmalwürdigen ehemaligen Brauereigeländes an Investoren im Höchstbieterverfahren beteiligt war.
Leider bleiben diese Stationen und auch die Argumentation des Films trotz kenntnisreicher Einwürfe des Soziologen Andrej Holm insgesamt punktuell und erratisch. So wird zwar die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit 1989 in Deutschland beklagt, aber trotz 200 Minuten Filmlänge nicht erklärt, wie und warum diese zustande kam. Und auch zum Singapurer Modell oder zum Berliner Volksentscheid fehlen unter vielen Einzelinformationen wesentliche Daten und Fakten zum Gewinn echter Erkenntnis. Nur ein symbolischer Trost ist da der bissige Schnitt vom kahlgeschlagenen Innenhof einer von der (mittlerweile zu „Heimstaden“ gehörenden) „Akelius“ aufgekauften Berliner Siedlung auf Firmengründer Roger Akelius, der vor seinem Sommerhäuschen in schwedischer Wasser-Grün-Idylle von dem Glück erzählt, mit seinen Dienstleistungen anderen eine Freude zu bereiten.
Sold City Leslie Franke, Herdolor Lorenz Deutschland 2024, zweimal 102 Minuten